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Seitensprung ins Glück

Titel: Seitensprung ins Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary E Mitchell
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ist das Wohnzimmer meiner Mutter lärmerfüllt, obwohl nur mein Vater und ich darin sitzen. Nicht wir sind es, die den Lärm verursachen, sondern der Fernseher. Ein sonntägliches Sportprogramm. Die Zusammenfassung eines Spiels der Yankees gegen die Red Sox. Meine Mutter ist noch in der Kirche, und der Sprecher berichtet über den Lärm der Menge hinweg aus dem Privatleben irgendeines Werfers. Ich habe noch nicht ein Wort mit meinem Vater gewechselt über seine diversen Besuche bei Urologen, Onkologen oder auch unserem Hausarzt, Dr. Nash, der das Blut im Urin überhaupt erst entdeckt hat. Nichts an seinem distanzierten Verhalten veranlasst mich zu glauben, er würde mit mir über seine Krankheit reden, selbst wenn ich heute nur deswegen gekommen bin.
    Ich habe keine Ahnung von Baseball, und es ist mir unangenehm, so neben meinem Vater zu sitzen. Das Lärmen der Menge erinnert mich an den schlechten Sex mit Teddy. Der genoppte Bezug auf dem Sofa meiner Mutter scheuert gegen meine Kniekehlen. Wäre doch ihr Sofa nur nicht so steif, so kratzig, so – fünfzigerjahremäßig. Warum haben die Leute in den Fünfzigern nicht gern bequem gesessen? Fast hätte ich meinen Vater danach gefragt, dessen Blick kurz vom Bildschirm zu mir gewandert ist, doch dann hören wir das Quietschen der Hintertür und atmen beide erleichtert auf.
    »Hal- lö -chen!«, trällert meine Mutter. »Bin von der nicht enden wollenden Messe zurück!«
    »Hi, Ma!«, rufe ich und versuche einen Werbespot zu übertönen. Ich stehe auf, um sie zu begrüßen, doch sie umrundet bereits auf ihren klappernden, hohen Absätzen die Küchenecke und kommt in ihrem guten marineblauen Sonntagsmantel, den sie vermutlich bereits zu meiner Taufe getragen hat, ins Wohnzimmer.
    »Schon wieder war dieser verdammte Jesuitenpater da«, murmelt sie und wirft ihr Handtäschchen neben mir aufs Sofa. Angesichts ihres Fluchs läuft mir ein Schauer den Rücken hinunter. »Die werden doch im Jesuitenkolleg total verzogen«, bemerkt sie bitter, »da wird ihnen jeder Tee und jeder Brandy gebracht und sogar noch der Hintern abgewischt.«
    Mein Vater hebt eine Augenbraue, mehr aus Erheiterung denn aus Missbilligung. Stella!, sagt dieser Blick.
    »Heute hast du nichts verpasst, Pulkowski«, erklärt meine Mutter ihm, während sie den Mantel aufknöpft, und wieder hebt mein Vater die Augenbraue. Er ist seit zweiunddreißig Jahren nicht mehr in die Messe gegangen, seit meiner bereits erwähnten Taufe nicht mehr. Und trotzdem lässt meine Mutter diesen Kommentar jeden Sonntag vom Stapel.
    »Die Predigt hättest du hören sollen!« Sie schlägt sich gegen die Stirn. »Darüber, wie schwer doch das Leben eines Mannes ist. Immer hat er vom Leben der Männer geredet, was die Männer doch für ein Kreuz zu tragen hätten! Als ob wir Frauen die ganze Woche nur auf der faulen Haut liegen und darauf warten würden, dass …«
    »Helen«, sagt mein Vater und lächelt sie an. Vielleicht ist es auch ein Zusammenzucken. Erschrocken hält meine Mutter inne, fast, als wache sie gerade auf. Sie zieht den Mantel aus, streicht den Rock glatt und schenkt mir ein würdevolles Lächeln ihrer roten Lippen.
    »Hallo Rosie«, sagt sie. »Dann mache ich dir und Pulkowski mal was zu essen.«
    Mit wehendem Rock und klappernden Absätzen verschwindet meine Mutter in der Küche. Ein bisschen verblüfft sehen wir ihr nach. Unsere Blicke kehren zum Fernseher zurück. Die Geräuschkulisse der Baseballfans erinnert an einen im Hintergrund laufenden Staubsauger. Ich lausche und fühle mich an Eleanor erinnert, die ihren Staubsauger auf dem Teppich des Zahnarztes vor und zurück schiebt, vor und zurück.
    »Dad«, sage ich, »wie geht es dir?«
    Ich starre weiter in den Fernseher. Ein Spieler auf der dritten Base fängt den Ball und stürzt sich auf den Läufer, der auf ihn zukommt. Er plumpst samt Ball auf ihn und drückt ihn platt wie eine Zeichentrickmaus. Ich höre, wie mein Vater in seinem Sessel raschelt. Ich höre, wie die Kissen seufzen. Ich werfe ihm einen Blick zu. »Gut«, sagt er zu dem plattgedrückten Baseballspieler. Und dann: »Ich schau besser mal nach dem Essen deiner Mutter.«
    Er erhebt sich, als hätte eine stumme Klingel ihn gerufen. Auf seinem Weg an mir vorbei beugt er sich von seiner stattlichen Höhe zu mir herab und drückt meine Schulter. Sehr zart, sehr flüchtig. Seine Hand ist schwer und warm, von den Fingern stehen einzelne, drahtige Härchen ab. Ich sehe an seiner khakibraunen Hose hoch,

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