Seitensprung ins Glück
für einen Augenblick. Das Klack, Klack, Klack der Blinker des Big Red ist das einzige Geräusch im Wagen. Helen muss sich dieselben Fragen stellen wie ich. Etwa: Was ist aus Alexa Pulkowski geworden? Was hat sie mit ihrer Honor-Society-Mitgliedschaft angefangen?
»Du bist von einer wunderbaren Mutter großgezogen worden«, sagt Marcie nach einer Weile. »Sie leidet wirklich, Rosie.«
Gut, denke ich, sage aber nichts.
»Deine Kleidung war immer sauber, genau wie du. Niemand hat dich je geschlagen. Du warst auf dem College.«
War meine wirkliche Mutter je auf dem College? Wo lebt sie jetzt? Lebt sie überhaupt noch? Wie hatte Helen die Spur eines sechzehn Jahre alten Mädchens verlieren können?
»Du bist in einem intakten Heim mit beiden Elternteilen aufgewachsen, und das zu einer Zeit, als mehr als die Hälfte aller amerikanischen Familien aus Alleinerziehenden mit ihren Kindern bestand.«
Ich rutsche ein Stück näher ans hintere Fenster, als würde ich glauben, dass das Marcie vom Reden abhält. Tut es aber nicht.
»Jetzt«, seufzt sie, »kommen wir mal zu deiner Ehe.« Sie wirft unserem Fahrer einen kurzen Blick zu. »Seanie! Stell deine Ohren auf Durchzug.« Ich sehe Seans verschämtes Grinsen im Rückspiegel.
»Also. Dein Mann war ein Affenarsch.«
»Ich dachte, du hättest gesagt, er sei ein Arsch gesicht «, widerspreche ich.
Wieder winkt sie ab. »Egal. Eine von zwei Ehen in diesem Land endet innerhalb der ersten vier Jahre mit einer Scheidung. Innerhalb der ersten vier Jahre! « Ihre Augen verengen sich hinter der dicken schwarzen Brille. »Du hast es also ziemlich gut getroffen.«
Ihr lächerlicher Kommentar reißt mich kurzzeitig aus meiner wie in Watte gepackten Benommenheit. »Willst du damit sagen, meine Ehe ist in statistisch angemessener Weise in die Brüche gegangen?«
»Jetzt werd’ nicht zynisch«, sagt sie. »Alles, was ich sagen will, ist, dass das Scheitern deiner Ehe nichts besonders Ausgefallenes war. Du bist damit nicht bemerkenswerter als Helen, die es geschafft hat, über ein halbes Jahrhundert mit einer Sphinx verheiratet zu sein.«
»Wie überaus tröstlich«, versichere ich ihr.
»Das hoffe ich.« Marcie seufzt zufrieden.
Wir halten in der Einfahrt ihres gemieteten Hauses, das dem von Inga recht ähnlich sieht. Es macht mich traurig.
»Nachdem wir über all diese bedrückenden Dinge gesprochen haben«, verkündet Marcie, »werden wir drinnen die Sau rauslassen.«
»Ich würde lieber nach Hause gehen und mich ausruhen.«
»Quatsch. Lieber würdest du dich unter einer Decke verkriechen und sterben. Und das ist absolut nicht akzeptabel.«
»Dann schlafe ich womöglich hier ein.«
»In Ordnung«, sagt Marcie. »Aber das bezweifle ich. Ich habe nämlich ein superleckeres Eis da drin.«
Sean hält uns die Tür auf wie ein guter Chauffeur, dann trägt er meine Sachen hinein. Er geht voran, und meine Plüschpuschen mit Leopardenmuster wippen oben auf der Tasche.
»Ist er nicht großartig?«, schwärmt Marcie, und ich bin einmal mehr verblüfft darüber, was für eine Anziehung diese stillen Typen auf gewisse Frauen haben. Gerade hat sie Pulkowski als Sphinx bezeichnet, und in der nächsten Sekunde behauptet sie, Sean Zambuto wäre großartig.
»Er wohnt jetzt hier«, gesteht Marcie mir, als ich in meinen Billig-Boots neben ihr herschlurfe. »Mein kleiner Zambie, mit dem ich den Briefkasten teile.« Sie seufzt und dreht sich mit verändertem Gesichtsausdruck zu mir um. »Wo lebt eigentlich Ham?«, fragt sie.
»Irgendwo in Manhattan.«
»Warst du noch nie da?«
Ich schüttele den Kopf, und zum ersten Mal wird mir bewusst, dass ich Mickey noch nie gebeten habe, mich dorthin mitzunehmen.
»Und er fährt jeden Tag auf die Insel und zurück?«
»Früher vermutlich schon. Jetzt bleibt er meistens in Ronkonkoma.«
»Also lebt dein Freund eigentlich auch bei dir.«
Ich zucke die Achseln. »Irgendwie schon.«
Gegen drei Uhr haben wir, jede von uns in eine Sofaecke im Wohnzimmer gekuschelt, mehr als eine Flasche Wein getrunken.
Sean ist unauffindbar. Wir haben uns SpongeBob Schwammkopf angesehen und eine DVD mit ein paar Folgen von Family Guy . Wir haben eine Packung süßer Frühstückspoppys verdrückt, eine Schale mit grünen Weintrauben und eine Runde Chicken Wings, die irgendwann am Nachmittag auf magische Weise von Sean auf den Couchtisch gezaubert worden waren.
»Seanie!«, ruft Marcie jetzt über das Geplärre eines Werbespots hinweg, »geh und kauf uns noch mehr
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