Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Seitensprung ins Glück

Titel: Seitensprung ins Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary E Mitchell
Vom Netzwerk:
sollten?«
    »Ganz und gar nicht«, erwidert Sean.
    Ich bin froh, dass ich zum Seacrest Diner aufbrechen kann, wo ich etwas Einfaches und Erfolgversprechendes machen darf: Ich kann Eleanor beibringen, die Tische abzuwischen, nachdem die Gäste gegangen sind. Marcies Waisenpatrouille wurde mir allmählich zu anstrengend. Sie und Seanie zusammen zu sehen ist ebenfalls nicht leicht. Zu Hause ist es auch nicht besser, weil Mickey jeden Abend anruft und über Teddy und die Scheidung sprechen möchte und darüber, wie es mir geht. Ich weiß nicht, was genau er wissen will: wie es mir mit ihm geht, mit der Scheidung oder mit der Tatsache, ein mutterloses Kind zu sein. Und ich weiß auch nicht, ob er will, dass ich ihn bitte, über Nacht zu bleiben, oder ob er froh ist, dass ich nicht protestiere, wenn er nach einem Besuch den Mantel anzieht und meine Wohnung verlässt. Es ist eine verwirrende Zeit in meinem Leben. Eleanor dabei zuzusehen, wie sie mit kreisenden Bewegungen die Tische abwischt, hat etwas Beruhigendes.
    Im Seacrest folge ich einer Serviererin, die sich mit den Ellbogen einen Weg durch den üblichen Wochenendtrubel bahnt und bei den Tischen nach Eleanor Ausschau hält. Ich entdecke den breiten, gebeugten Rücken meines Schützlings an einem Fenstertisch. Der Tisch, den sie schrubbt, sieht sauber genug aus, um darauf eine Blinddarmoperation durchzuführen. Sie ist hübsch anzusehen in der rosa Bluse und der weißen Schürze. Als sie aufsieht, bedenkt sie mich mit ihrem berühmten Halbmondlächeln. »Du machst hier gute Arbeit«, sage ich ihr und bewundere ihr Werk.
    »Ich bin die Beste«, erwidert sie mit von der Anstrengung geröteten Wangen. »Das hat mir Mrs Bingle gesagt.«
    »Wer ist Mrs Bingle?«
    Eleanor wischt sich mit dem Gummihandschuh ein paar verirrte Ponysträhnen aus dem Gesicht. »Meine Leiterin.«
    »Leiterin von was?«, frage ich leicht beunruhigt. Gibt es andere Sozialdienste, die mit Eleanor arbeiten und von denen ich nichts weiß?
    »Na, von der Integrativen Theatergruppe!«, ruft Eleanor, als würde ich mich besonders dumm anstellen. Eine ältere Frau am Tisch hinter uns dreht den weißen Schopf.
    »Das ist ja klasse, Eleanor. Ich wusste gar nicht, dass du in einer Theatergruppe bist.«
    »Bin ich.« Eleanor klatscht in die Gummihände. »In der Integrativen Theatergruppe!« Die alte Frau sieht uns neugierig an. Ihr Haar ist mit Haarspray zu einem Nest aufgetürmt und steif wie ein Osterkörbchen.
    »Ich singe! Ich mache mit bei der Vorführung! Alle aus der Wohngruppe, die wollen, sind dabei.« Eleanors Wangen röten sich noch mehr, als sie ihren Schwamm fallen lässt, die Schultern zurückwirft und tief einatmet. Dann schmettert sie los, und zwar so laut, dass das Gebäude einzustürzen droht:
    Give my regards to Broadway!
Remember me to Herald Square!
Tell all the gang at Forty-second Street
That I will soon be there!
    Sie hält wirklich gut den Ton. Köpfe fahren herum, und jetzt kommen sogar die Köche aus der Küche, um zu sehen, was hier draußen vor sich geht.
    Whisper of how I’m yearning!
To mingle with the old time throng!
Give my regards to old Broadway
And say that I’ll be there e’er long!
    »Das ist sehr schön, meine Liebe«, sagt die alte Frau und applaudiert über ihrem leeren Teller.
    »Es geht noch weiter«, informiert Eleanor sie. Sie dreht sich wieder zu mir um und fragt: »Soll ich weitermachen?«
    »Teufel auch, ja!«, ruft einer von den Köchen, ein dickbauchiger Mann mit einem Fleck auf der Schürze, der an eine Zielscheibe erinnert.
    »Wir wollen hier in Ruhe essen«, grummelt ein Mann an Tisch sechs, doch jemand an der Theke brüllt: »Wunderschön!«, und der Koch winkt mit dem Pfannenwender. Eleanor genießt den Moment. Sie nimmt das Lob hoch erhobenen Hauptes entgegen, eine Lektion für uns alle.
    Während Eleanors Kleinbus auf dem Rückweg zu ihrer Wohngruppe ist, rufe ich dort an, um mehr über diese Integrative Theatergruppe herauszufinden. Wie sich herausstellt, ist Mrs Bonnie Bingle eine Ehrenamtliche, die selbst einmal Theater gespielt hat. In einem Monat werden sie ein Stück mit dem Titel Nicht ohne mich aufführen. Ich kritzele den Termin in meinen Kalender und mache mich auf den Heimweg. Ich versuche hartnäckig, dem sexfreien Abend mit Mickey freudig entgegenzusehen. Wie üblich kommt er, um mich zu bekochen. Er wird wieder Fleisch zubereiten, das er aus der Arbeit mitbringt, als glaube er, es sei ein Allheilmittel, ein Stück Fleisch zu braten.

Weitere Kostenlose Bücher