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Seitensprung ins Glück

Titel: Seitensprung ins Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary E Mitchell
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weiche Gesicht des Jungen sieht unglaublich jung aus, obwohl er sich als Halbstarker verkleidet hat. Überrascht zuckt er mit den Schultern und fragt: »Wow, ist das hier eine Reality-Show oder so was?«
    »Ich suche einfach nur nach jemandem, der hier wohnt und der John Bellusa heißt.«
    Der Junge sieht enttäuscht aus. Nie erlebt er etwas in Woods Hole. Achselzuckend sagt er: »Ich glaube, mein Alter hat seine Veranda von Bellusa bauen lassen.«
    »Bauen lassen? Von einer Baufirma?«
    »So was in der Richtung«, sagt der Junge und schiebt dann ab. Seine Hosenbeine blähen sich wie Segel.
    Mit klopfendem Herzen stürze ich zur Post und halte nach einem Telefonbuch Ausschau. Im hinteren Teil finde ich ein zerfleddertes Exemplar, das mit einer Kette an einem Münzfernsprecher festgemacht ist. Zuerst blättere ich im normalen Telefon, dann in den Gelben Seiten. Ich suche unter Umbauten, unter Zimmererarbeiten und werde schließlich unter Baufirmen fündig: TIP TOP BAUTEN, ZIMMERERARBEITEN UND RENOVIERUNGEN: KEIN AUFTRAG IST UNS ZU GROSS, KEINER ZU KLEIN. JOHN BELLUSA, ZIMMERERMEISTER. Meine Hände zittern, als ich Telefonnummer und Adresse notiere. Ich stoße den Atem aus, den ich angehalten hatte, werfe ein paar Münzen ein und wähle. Ich atme so laut aus, dass die Frau am Schalter zu mir herübersieht. Ich schenke ihr ein liebenswürdiges Lächeln.
    Es überrascht mich nicht, nur den Anrufbeantworter dranzuhaben. Es ist zwölf Uhr mittags an einem Montag, ein Zeitpunkt, an dem alle guten Zimmerleute bei der Arbeit sind. Ich bin aber überrascht, als ich die Stimme höre, eine warme, tiefe Männerstimme, eine Stimme mit einem Hauch Long Island darin, die Stimme meines Vaters.
    Sie haben die Nummer von Tip Top Bauten gewählt. Kein Auftrag ist uns zu groß, keiner zu klein, ob Renovierungen oder Zimmererarbeiten.
    Der Mann spricht die Vokale hart aus, ganz wie ein New Yorker. Die Nachricht endet mit den üblichen Worten:
    Bitte hinterlassen Sie Name und Telefonnummer, wir rufen so bald wie möglich zurück.
    Meine Hand umklammert den Hörer. Soll ich eine Nachricht hinterlassen? Womit soll ich anfangen? Ich knalle den Hörer auf die Gabel. Wieder starrt die Frau vom Schalter herüber. Mit dem kostbaren Stück Papier in der Hand stürze ich aus dem Postgebäude.
    Draußen auf der Straße zittere ich. Ich hätte eine Nachricht hinterlassen sollen, doch was hätte ich sagen sollen? Hi, hier spricht Roseanna Plow. Erinnern Sie sich an Alexa Pulkowski? An das Kind, das sie gekriegt hat? Tja, nun raten Sie mal, wer hier ist? Das kann ich nicht. Was bleibt mir also übrig? Ich bin nicht der Typ, der ein Haus umschleicht und darauf wartet, dass jemand herauskommt. Wenn Marcie hier wäre, würde ich es vielleicht tun. Aber was, wenn er eine Frau hat? Was, wenn kleine Halbbrüder und Halbschwestern draußen im Garten auf einer Schaukel spielen? Will ich wirklich mit meinem New Yorker Nummernschild vorfahren und aus dem heruntergelassenen Seitenfenster herausgaffen? Habe ich eine andere Wahl? Ich gehe wieder Richtung Auto.
    HARTE SCHALE, WEICHER KERN – KRABBENIMBISS steht auf einem knallroten Schild über meinem Kopf zu lesen. Ich ziehe die Tür auf und trete ein. Ich will nicht zum Wagen gehen. Ich muss nachdenken. Und dieses Mal muss ich wirklich etwas essen. Es ist zwölf Uhr, und seit ich von Long Island aufgebrochen bin, habe ich noch nichts zu mir genommen außer Kaffee und einer Scheibe Toast. Meine Hände sind kalt, und ich zittere noch immer.
    »Mittagessen?«, fragt eine freundlich aussehende Frau, und als ich nicke, führt sie mich zu einem kleinen Tisch mit Blick auf die Straße. »Einen Kaffee zum Aufwärmen?«, fragt sie, und ich nicke erneut, obwohl das ungefähr meine achtzigste Tasse sein wird.
    Die Frau betrachtet mich besorgt. »Ich geh und hol Ihnen welchen, meine Liebe«, sagt sie und drückt meine Hand, als wüsste sie Bescheid. Ich blicke aus dem Fenster, meine geballten Fäuste liegen auf dem rot-weiß-gemusterten Tischtuch.
    Die Serviererin kommt mit dem Kaffee und der Speisekarte wieder, und dieses Mal schlage ich die Karte gar nicht erst auf, bevor ich meine Frage gestellt habe: »Kennen Sie hier zufällig jemanden, der John Bellusa heißt?«
    Die blauen Augen der Frau scheinen dem Flug eines Kolibris zu folgen. Sie bewegen sich so schnell, dass ich weiß, sie kennt meinen Vater. Sie runzelt kurz in Gedanken die Stirn, sodass ihre Lachfalten zum Vorschein kommen. Sie ist mindestens fünfzig, doch

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