Seitensprung ins Glück
Kopf«, sagt er.
Mir ist klar, dass seine Worte tröstend gemeint sind, doch man verschwindet nicht einfach für drei Jahrzehnte aus dem Leben seines Kindes, um sich dann wieder hineinzuschmeicheln. Das kommt mir nicht richtig vor, auch wenn die Worte ernst gemeint sind. Ich stemme mich wieder hoch und klopfe mir den Hintern meiner Jeans ab. Vielleicht reicht es für heute.
»Wie geht es Mr und Mrs Pulkowski?«, fragt er.
»Oh, sie sind erschöpft«, antworte ich. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie damit gerechnet hatten, nach deiner Freundin noch ein Kind großzuziehen.«
»Ich wette, da hast du recht. Aber sie haben ihre Sache doch gut gemacht. Besser, als ich es gekonnt hätte.«
»Du hättest meine Mutter heiraten können«, sage ich ihm mit dem Einfühlungsvermögen eines Scharfrichters.
»Ja, vermutlich hast du recht.« Seine Stimme ist jetzt nicht mehr als ein Seufzen. »Aber dazu ist es nicht gekommen, nicht wahr?« Wieder reibt er sich die Augen. »Ich vermute, unser Wiedersehen läuft nicht sehr gut, hm?«
»So gut, wie zu erwarten war«, sage ich und mache einen Schritt von der Türschwelle hinunter und aus dem Haus hinaus. »Vielleicht sollten wir das Treffen jetzt beenden und erst mal eine Weile darüber nachdenken.«
»Wir könnten heute Abend essen gehen«, schlägt Johnny Bellusa vor. »Ich würde meine Tochter gern einladen.«
»Du lädst alle Frauen gern ein, wenn man Peter glauben darf.«
Er kratzt sich die Wange und lächelt. »Du hast viel vom Temperament deiner Mutter, Roseanna. Woher kommt übrigens das Plow? Bist du verheiratet?«
»Nein. Ja. So was in der Art. Aber Plow ist nicht der Name meines Mannes.«
Johnny blickt verwirrt drein. »Fahr jetzt zurück und überleg dir das mit dem Abendessen. Lass mich wissen, wie du dich entscheidest, wenn du absagst, bin ich auch nicht beleidigt.« Ich sehe zu, wie er sich hinunterbeugt, um einen Hammer aufzuheben. »Aber eines solltest du noch wissen«, sagt er, »nur für den Fall, dass du dich entschließt, mich heute Abend nicht zu treffen.« Der Hammer hängt schlaff in seiner linken Hand, als Johnny Bellusa sich ganz auf mich konzentriert. »Ich war wirklich froh darüber, dass deine Mutter nicht zugelassen hat, dass man dich weggibt. Sie hat ihren Eltern und einer ganzen Reihe Nonnen in die Augen gesehen und gesagt: ›Nein, ihr könnt mein Kind nicht zur Adoption freigeben.‹ Weißt du eigentlich, wie viel Mumm damals, 1975, in einem polnisch-katholischen Haushalt für so eine Aussage nötig war?«
Ich nicke. Ich weiß genau, wie viel Mumm man dazu brauchte. Seine Freundin war ja nicht der einzige Mensch, der von Helen Pulkowski großgezogen worden war.
26
Tot
Auf Cape Cod scheint nicht so sehr der Spruch »Shit happens«, sondern »Sleep happens« zu gelten, obwohl auf unzähligen T-Shirts in den Auslagen der Souvenirläden etwas anderes behauptet wird. Als Mickey auch nach meinem vermutlich tausendsten Versuch noch nicht ans Telefon geht, überwältigt mich der Schlaf. Leg dich hin, sagt er. Die Sonne scheint vielleicht und du brauchst vielleicht etwas zum Mittagessen, aber du bist müde. Also schlafe. Flieh in den Schlaf vor Vätern und Freunden. Flieh in den Schlaf vor dem Klingeln von Mickeys Telefon, wo niemand abhebt. Flieh vor der Vorstellung in den Schlaf, wie deine Großeltern ihre Besitztümer in Kisten gepackt und dich aus Islip in eine andere Stadt gebracht haben, wo niemand dich kannte. Gut, sage ich. Das werde ich. Ich schließe die Augen, und die Welt hinter meinen Lidern wird leuchtend orange, doch das hält mich nicht davon ab, einzudämmern und wegzudriften. Ich lasse mein Leben zurück und versinke in dem viel zu weichen Bett in Zimmer 113 im Sand’n Surf Motel.
Als mein Handy mich weckt, ist der frühe Winterabend hereingebrochen. Es kann nicht später als fünf Uhr nachmittags sein, doch die Sonne hat längst ihren Schreibtisch aufgeräumt und ist gegangen. Es ist so kühl, dass mir ein Schauer über den Arm läuft, als ich nach dem quäkenden kleinen Ding taste. Dann fällt mir ein, dass es Mickey sein könnte. Voller Hoffnung setze ich mich kerzengerade auf dem weichen Bett auf.
»Hallo?«
»Rosie?«
»Mickey!«, schluchze ich und versuche, alles – Liebe, Reue, das Glück, das ich empfinde – in dieses eine Wort zu packen.
»Rosie?«, wiederholt er.
Er hat mich Rosie genannt! Zweimal!
»Ich bin ja so froh, dass du es bist! Ich habe den ganzen Tag versucht, dich zu erreichen!« Ganz ruhig,
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