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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nella Larsen
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brachte sie das Zittern ihrer Lippen unter Kontrolle und drängte den aufkommenden Zorn zurück. Nachdem das Geschäftliche erledigt war, kehrte sie in gedämpfter Stimmung zum Auto zurück. Aber gegen den Harnisch von Brians hartnäckigem Schweigen hörte sie sich mit ruhiger, metallischer Stimme sagen: »Ich glaube nicht, dass ich jetzt schon heim will. Mir ist eingefallen, dass ich mir etwas Anständiges zum Anziehen besorgen muss. Ich habe nichts, worin ich mich sehen lassen kann. Ich fahre mit dem Bus in die Stadt.«
    Brian nahm nur den Hut ab in dieser aufreizend höflichen Weise, die so erfolgreich seinen Zorn im Zaum hielt und ihn dennoch offenbarte.
    »Auf Wiedersehen«, sagte sie schneidend. »Danke fürs Mitnehmen.« Sie wandte sich zur Avenue.
    Was, fragte sie sich zerknirscht, sollte sie als Nächstes tun? Sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie einen so ungeschickten Auftakt für das gewählt hatte, was sie eigentlich hatte vorschlagen wollen: eine europäische Schule für Junior im nächsten Jahr, und Brian sollte ihn dorthin bringen. Wenn sie ihren Plan mit einer günstigeren Eröffnung hätte präsentieren können und er ihn akzeptiert hätte – was sicherlich der Fall gewesen wäre –, hätte er sich darauf freuen können als eine Unterbrechung im behaglichen Einerlei, das ihm anscheinend aus einem ihr völlig unbegreiflichen Grund so verhasst war.
    Noch mehr ärgerte sie sich über ihren eigenen Wutanfall. Was war in sie gefahren, sich in so einem Augenblick derart aufzuführen?
    Allmählich ließ ihre Niedergeschlagenheit nach. Sie rückte ab von dem missglückten ersten Versuch, ihm Ersatz anzubieten, nicht so sehr entmutigt als enttäuscht und beschämt. Womöglich war sie nicht nur zur Unzeit wütend geworden, sondern auch zu hastig in ihrem Eifer gewesen, ihn abzulenken, und hatte ihm nach seinem Gefühlsausbruch zu rasch zugesetzt und so seinen Argwohn und seinen Eigensinn geweckt. Sie konnte nur abwarten. Ein geeigneterer Zeitpunkt würde sich schon ergeben, morgen, nächste Woche, nächsten Monat. Es war jetzt nicht mehr so wie damals, dass sie Angst hatte, er würde alles hinwerfen und zu jenem fernen Sehnsuchtsort seines Herzens entschwinden. Das würde er nicht tun, das wusste sie. Er hing an ihr, liebte sie auf seine wenig demonstrative Art.
    Und da waren die Jungen.
    Sie wollte ihn ja nur glücklich sehen, verübelte ihm aber seine Unfähigkeit, die Dinge so zu nehmen, wie sie waren, und sie gestand sich nie ein, auch wenn sie sein Glück aufrichtig im Auge hatte, dass es nur auf ihre Weise und nach ihrem Plan war. Auch gab sie nicht zu, dass sie alle anderen Pläne, alle anderen Wege mehr oder weniger indirekt als Bedrohung ansah für jene Sicherheit der Stellung und des Vermögens, die sie für ihre Söhne beanspruchte und in einem geringeren Maße für sich selbst.

zwei
    Fünf Tage waren vergangen seit Clare Kendrys flehendem Brief. Irene Redfield hatte ihn nicht beantwortet. Auch hatte sie nichts mehr von Clare gehört.
    Sie hatte ihren ersten Vorsatz, gleich zu schreiben, nicht ausgeführt, denn als sie Clares Brief wegen der Adresse holte, war sie auf etwas gestoßen, das sie in ihrer strikten Entschiedenheit, die von Clare selbst errichtete Mauer zwischen ihnen nicht einzureißen, vergessen oder übersehen hatte. Es war Clares Bitte gewesen, ihr postlagernd zu antworten.
    Das hatte Irene verärgert und ihre Verachtung für die andere gesteigert.
    Sie hatte den Brief zerrissen und in den Papierkorb geworfen. Es waren nicht so sehr Clares Vorsicht und ihr Drang nach Verschwiegenheit in ihrer Beziehung – Irene verstand deren Notwendigkeit –, als dass Clare an ihrer Diskretion gezweifelt und damit angedeutet hatte, sie könnte in der Formulierung ihrer Antwort und der Wahl des Briefkastens unachtsam sein. Da Irene stolz war auf ihren gesunden Menschenverstand und ihr Feingefühl, konnte sie es nicht ertragen, dass jemand sie anscheinend infrage stellte. Jedenfalls nicht Clare Kendry.
    In einem ruhigeren Moment beschloss sie, dass es schließlich doch besser war, nicht zu antworten, nichts zu erklären, nichts abzulehnen; die Angelegenheit einfach zu regeln, indem sie überhaupt nicht schrieb. Clare, von der sich nicht behaupten ließ, dass sie dumm war, würde die Bedeutung dieses Schweigens schon verstehen. Vielleicht – und Irene war sich dessen sicher – würde sie sich entscheiden, es zu ignorieren, und nochmals schreiben, aber das spielte keine Rolle. Das Ganze

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