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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nella Larsen
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auch gemeint.
    Irene setzte sich ruckartig hin. Und sagte kühl, förmlich: »Brian und ich haben das Ganze sorgfältig besprochen und sind zu dem Schluss gelangt, es ist nicht klug. Er sagt, diese Rückkehr ist immer eine gefährliche Angelegenheit. Er hat erlebt, wie mehr als einer deswegen gescheitert ist. Und wenn man alles bedenkt – Mr. Bellews Einstellung und all das –, glaubst du da nicht, du solltest so vorsichtig sein wie nur irgend möglich?«
    Clares tiefe Stimme brach das kurze Schweigen, das Irenes Rede gefolgt war. Fast klagend sagte sie: »Ich hätte es wissen sollen. Es ist Jack. Ich mache dir keinen Vorwurf, dass du wütend bist, damals an dem Tag hast du dich allerdings ausgezeichnet gehalten. Aber ich habe wirklich geglaubt, du würdest es verstehen, ’Rene. Das war’s ja unter anderem, was mich dazu gebracht hat, andere Leute sehen zu wollen. Es hat mir einfach einen Schlag versetzt und alles verändert. Wenn das nicht passiert wäre, hätte ich bis zum Ende weitergemacht und nie einen von euch gesehen. Aber das hat bei mir etwas ausgelöst, und seitdem bin ich so einsam! Du kannst das nicht wissen. Nicht einer einzigen Menschenseele nahe sein. Nie jemanden haben, mit dem man offen reden kann.«
    Irene drückte ihre Zigarette aus. Dabei hatte sie wieder das Bild von Clare Kendry vor Augen, wie sie verächtlich auf das Gesicht ihres toten Vaters hinunterstarrte, und dachte, dass sie genauso auf ihren Mann schauen würde, wenn er tot vor ihr läge.
    Ihr eigener Unmut war verflogen, und in ihrer Stimme schwang Mitleid, als sie ausrief: »Aber, Clare! Ich habe das doch nicht gewusst. Verzeih mir. Ich fühle mich wie das schlimmste Monster. Wie dumm von mir, dass ich das nicht erkannt habe.«
    »Nein. Überhaupt nicht. Das konntest du nicht. Niemand, keiner von euch konnte das«, seufzte Clare. Ihre schwarzen Augen füllten sich mit Tränen, die ihr über die Wangen und auf ihren Schoß liefen und den kostbaren Samt ihres Kleides ruinierten. Ihre langen Hände waren leicht angehoben und fest ineinander verschränkt. Ihr Bemühen, maßvoll zu sprechen, war deutlich, aber nicht erfolgreich. »Wie solltest du das denn wissen? Wie denn auch? Du bist frei. Du bist glücklich. Und«, mit leichtem Spott, »du bist sicher.«
    Irene überhörte den spöttischen Ton, denn die bittere Empörung in den Worten der anderen hatte ihr selbst Tränen in die Augen getrieben, die sie allerdings zurückhielt. Um die Wahrheit zu sagen, sie wusste, dass Weinen ihr nicht stand. Nur wenige Frauen weinten wohl so anziehend wie Clare. »Ich glaube allmählich«, murmelte sie, »dass niemand je völlig glücklich ist oder frei oder sicher.«
    »Was macht es dann aus? Wenn wir sowieso nicht sicher sind, wenn selbst du es nicht bist, kann ein Risiko mehr oder weniger nicht so viel ausmachen. Für mich jedenfalls nicht. Außerdem bin ich Risiken gewohnt. Und das ist doch kein so großes Risiko, wie du es hinstellen willst.«
    »Ist es wohl. Und es kann sehr viel ausmachen. Da ist dein kleines Mädchen, Clare. Denk an die Folgen für sie.«
    Clares Gesicht bekam einen erschrockenen Ausdruck, als sei sie völlig unvorbereitet auf diese neue Waffe, mit der Irene sie angegriffen hatte. Einige Augenblicke vergingen, in denen sie mit verzweifeltem Blick und zusammengepressten Lippen dasaß. »Ich glaube«, sagte sie schließlich, »es gibt nichts Grausameres auf der Welt, als Mutter zu sein.« Ihre verschränkten Hände schaukelten vor und zurück, und ihr scharlachroter Mund zitterte unkontrolliert.
    »Ja«, stimmte Irene leise zu. Einen Moment lang konnte sie nicht weitersprechen, so zutreffend hatte Clare in Worte gefasst, was sie in letzter Zeit insgeheim oft selbst gedacht hatte, doch längst nicht so klar. Gleichzeitig war sie sich bewusst, dass hier ein Grund vorhanden war, der nicht leicht beiseitegeschoben werden konnte. »Ja«, wiederholte sie, »und mit der größten Verantwortung, Clare. Wir Mütter sind verantwortlich für die Sicherheit und das Glück unserer Kinder. Denk nur, was es für deine Margery bedeuten würde, wenn Mr. Bellew es herausfinden sollte. Du würdest sie wahrscheinlich verlieren. Und selbst, wenn nicht, wäre alles, was sie beträfe, nicht mehr so, wie es einmal war. Er würde nie vergessen, dass sie Blut von einer Schwarzen hat. Und wenn sie es erfahren sollte – Ich glaube jedenfalls, über zwölf kommt ein Kind damit nicht zurecht. Sie würde dir das nie verzeihen. Du bist vielleicht Risiken

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