Seitenwechsel
nachvollziehen, wenn sie es auch nicht als Argument durchgehen ließ. Sie setzte sich schon weniger furchteinflößend zu mir aufs Bett und legte ihren Arm um meine Schultern. »Was soll er schon sagen, Karina? Es ist Tim. Er liebt dich.«
Ich schluckte. »Da bin ich mir eben nicht mehr so sicher.«
Tina sah mich mitleidig an. »Dann musst du es herausfinden. Aber das hier ist einfach kein Zustand, glaub mir.«
»Und wenn ich es nicht herausfinden will?«
»Tja, dann musst du dir ab morgen eine andere Unterkunft suchen! Tut mir leid. Gute Nacht.«
»Wie bitte? Du schmeißt mich raus? Das ist Erpressung!«
Aber Tina ging, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Ich starrte ihr entsetzt hinterher. Sie konnte so unglaublich gemein sein, wenn sie es gut mit mir meinte.
Saved by the bell
Kai strahlte über das ganze Gesicht, als er mich vor dem Tor des Kindergartens sah. Nach meiner Österreichfahrt hatte ich einen Tag frei, und normalerweise waren meine freien Tage für Kai reserviert. Es kam selten genug vor, dass ich den ganzen Nachmittag mit ihm verbringen konnte, ohne Termindruck und Handy am Ohr, und sogar abends noch Zeit hatte, ihm eine Gutenachtgeschichte vorzulesen. Noch länger wollte ich darauf nicht verzichten. Und nach viel Hin und Her hatte ich Tim schließlich per SMS mitgeteilt, dass ich Kai heute vom Kindergarten abholen würde.
»Mami, Mami, du bist wieder da!« Er schlang seine dünnen Ärmchen um meinen Hals. Ich drückte ihn fest an mich. Als er mich aus seinen großen grünen Augen ansah, Tims Augen, kamen mir die Tränen. »Warum weinst du, Mama? Musst du wieder verreisen?«, fragte er.
Ich riss mich zusammen und schüttelte den Kopf. »Nein, mein Schatz. Ich muss jetzt nicht mehr verreisen.« Kai fand das gut und wollte ein Eis. Ich kaufte ihm zwei Kugeln statt einer und als er mir schließlich mit seinem Schokoladenmund von der Rutsche aus zuwinkte, wurde mir klar, dass Tim und ich unserer Beziehung eine zweite Chance geben mussten. Kai hatte es verdient.
»Karina?!«
Tim war überrascht, als ich zusammen mit Kai die Wohnung betrat und nicht gleich wieder abhaute. Ich konnte nicht sagen, ob er sich freute. Aber er war überrascht.
»Hallo.«
»Wie geht es dir?« Seine Frage war ehrlich gemeint.
»Beschissen!«, war meine genauso ehrliche Antwort.
Er nahm mich in den Arm. Wir hielten uns lange fest, ohne ein Wort zu sagen, bis Kai aus seinem Zimmer zurückkam, um mir zu zeigen, was er mit seinen Duplo-Steinen gebaut hatte. Tim und ich rissen uns zusammen und bis zu dem Augenblick, als Kai schließlich im Bett lag, schien alles wie früher zu sein. Ich schmierte Kai sein Leberwurstbrot und las ihm zum zigsten Mal die gleiche Geschichte vor. Tim half ihm beim Zähneputzen. Und dann brachten wir ihn zusammen ins Bett. Es war schon fast unheimlich, wie gut Tim und ich darin waren, uns vor Kai nichts anmerken zu lassen.
Aber sobald er im Bett war, war die Routine vorbei. Wir starrten uns hilflos an. In der Bewältigung von Affären hatten wir keine Routine.
»Möchtest du was trinken?«, fragte Tim schließlich, um überhaupt irgendetwas zu sagen. Es war eine komische Frage, schließlich wohnte ich hier auch irgendwie und hätte mir selbst etwas zu trinken holen können. Aber ich bat um ein Wasser und folgte Tim in die Küche. Wir setzten uns mit unseren Wassergläsern bewaffnet gegenüber an den Küchentisch. Keiner wagte den Anfang zu machen. Wir mieden unsere Blicke.
»Ich wünschte, ich könnte das alles rückgängig machen, Karina«, sagte Tim schließlich ganz langsam, so als müsste er jedes Wort sorgfältig auswählen. »Es tut mir so leid.«
Ich fing seinen Blick ein und versuchte herauszufinden, was genau er damit meinte. Tat es ihm leid in dem Sinne, dass er mich zurückwollte? Oder bedeutete es vielmehr, dass es ihm leidtat, dass es zwischen uns vorbei war? Sein Gesicht gab nicht wirklich Aufschluss darüber, und so musste ich wohl oder übel etwas konkreter werden.
»Ich weiß, dass es dir leid tut, Tim. Aber wie geht es jetzt weiter … mit uns?« Ich wagte kaum, es zu fragen. Aber wir konnten uns nicht ewig mit der Vergangenheit herumschlagen. Was passiert war, war passiert. Für mich zählte jetzt nur noch, was danach kam.
Tim sog hörbar die Luft durch die Nase ein. Das war immer ein Zeichen dafür, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Dass ich den ersten Schritt machen musste. Ich versuchte, in seinem Gesicht zu lesen, wie beim Pokern. Ich wollte wissen, was
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