Seitenwechsel
für Gedanken ihm gerade durch den Kopf gingen, um die größtmögliche Sicherheit zu haben, dass er meiner Meinung sein würde. Es war nicht einfach, ich war nicht eine von denen, die sich an den letzten Strohhalm klammerten, die um Liebe bettelten. Betteln hieß, sich eine Blöße geben, mehr noch, das Innerste nach außen kehren, die Stelle, an der man am verletzlichsten war. Aber ich wagte es trotzdem.
»Wir müssen etwas ändern, Tim. Das weiß ich. Unsere Beziehung war nicht gerade die beste in letzter Zeit. Aber selbst in schlechten Zeiten wie diesen ist sie besser als alles, was ich vorher erlebt habe. Ich finde, wir beide sollten es noch mal versuchen. Kai ist es wert, es zu versuchen. Wir sind es wert …«
Er nahm meine Hand. Ich spürte Tränen in mir hochsteigen und schluckte sie zusammen mit den letzten Worten herunter. Ich konnte nicht mehr weiterreden.
Tim blickte auf und sah mich ebenfalls aus tränenverhangenen Augen an. Ich hing an seinen Lippen. Mein Magen verkrampfte sich, während ich darauf wartete, dass er mich endlich erlöste.
Aber stattdessen wurde er erlöst – vom Klingeln seines Handys. Wir zuckten beide zusammen. Es klingelte wieder. Tim wollte es ignorieren, aber der fröhliche Klingelton passte so gar nicht zu unserer verzweifelten Stimmung. Schließlich zog er es aus seiner Hosentasche. Und allein an der Art, wie Tim auf das Display schaute und dann schnell den Anruf wegdrückte, merkte ich, dass sie es war.
Ich zog meine Hand aus seiner zurück und stand auf. Ich wusste auch, wann ich verloren hatte. Ich hatte hier nichts mehr zu suchen.
»Warte, Karina.« Tim sprang hektisch auf.
»Ihr trefft euch also immer noch?«, sagte ich merkwürdig ruhig, während ich meine Jacke anzog.
»Nein!« Ein Blick von mir genügte, und Tim brach ein. »Ja, wir haben uns getroffen. Zum Reden. Mehr nicht.«
Ich schüttelte den Kopf. Ich legte hier einen astreinen Seelenstrip hin, während Tim schon längst dabei war, seine Affäre in eine handfeste Beziehung zu verwandeln. Wie hatte ich nur so falsch liegen können? »Willst du denn mehr? Mit ihr?«
»Nein«, antwortete Tim eilig, nur um dann leiser und ehrlicher hinzuzufügen: »Ich weiß es nicht, Karina.«
Ich nickte leer. Mir fiel nichts mehr ein, was ich noch hätte sagen können. Ich hatte mein Pulver verschossen und das Ziel damit deutlich verfehlt.
Tim griff wieder nach meiner Hand und hielt sie fest. Aber es fühlte sich nicht mehr echt an. Meine Hand war ein Fremdkörper in seiner, sein Griff verkrampft. Er sah mich verzweifelt an, und ich hatte das Gefühl, ihm ging es im Moment fast schlechter als mir. Er sprach ganz leise.
»Ich weiß einfach nicht, was mit uns los ist. Ich habe versucht, es in den letzten Wochen herauszufinden, aber ich weiß es einfach nicht. Wir sind manchmal so weit voneinander entfernt.«
Völlig betäubt stand ich vor ihm. Jedes seiner Worte zerriss mich innerlich, bis ich das Gefühl hatte, dass nur noch meine Hülle übrig war.
»Und Sarah war gerade in der Nähe?«, sagte ich tonlos. Ich wollte nicht zynisch werden, es rutschte mir einfach nur so raus.
»Nein.« Tim war völlig durcheinander. »Erst haben wir ja nur geredet. Aber dann … Mit ihr war alles plötzlich so unkompliziert«, versuchte Tim sich und mir zu erklären, was nicht zu erklären war. »So leicht, so … so …«
»So wie es mit uns beiden mal war«, beendete ich seinen Satz und schaute verletzt auf den Boden. Ich wusste, was Tim meinte. Aber nicht, wie ich uns dieses Gefühl zurückgeben konnte. Tim wollte mich in den Arm nehmen, aber ich schüttelte den Kopf. Er ließ seine Arme kraftlos sinken. So standen wir uns minutenlang gegenüber. Keiner sagte ein Wort. Keiner bewegte sich. Es war schlimm. Schlimmer als jeder Streit. So schlimm, dass ich mir wünschte, wir würden im Streit auseinandergehen. Dann hätte ich Tim wenigstens hassen können. Aber er sah mich hilflos unter Tränen an. »Ich will dich nicht verlieren, Karina.«
Ich erwiderte seinen Blick und schüttelte dabei fast unmerklich den Kopf. »Das reicht nicht, Tim.«
Ich wusste nicht, wie ich überhaupt noch die Kraft aufbrachte, aufrecht zu stehen, geschweige denn zu reden. Ich musste mich regelrecht überwinden, unser Gespräch zu Ende zu bringen und nicht einfach so aus der Wohnung zu fliehen.
»Ich ziehe aus«, flüsterte ich schließlich. Vielleicht war es feige, aber ich sah keinen anderen Ausweg. Ich brauchte jetzt einen Schlussstrich. Einen klaren
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