Seitenwechsel
Mutter. Konnte sie nicht wenigstens jetzt mal ein Vorbild sein?
»Nein«, sagte ich deutlicher als nötig. »Tim liebt mich nicht mehr. Punkt, aus, vorbei!«
»Hat er das gesagt?«, fragte meine Mutter überrascht.
Ich starrte eine Weile in mein Weinglas und schüttelte schließlich den Kopf. »Nein, aber er hat mich gehen lassen.«
Genau das war der Punkt. Er hatte mich nicht zurückgehalten. Er hatte nicht versucht, meinen Entschluss zu ändern. Fast so, als wäre er dankbar dafür gewesen, dass ich ihm die Entscheidung abgenommen hatte.
Meine Mutter nickte traurig.
»Ach, Schatz, Liebe ist einfach eine komplizierte …«
»… Gleichung. Ja, ich weiß.« Das hatte sie mir schon damals nach der Scheidung meiner Eltern immer wieder vorgeleiert, denn für sie als Mathematikerin bestand das Leben nur aus endlosen Gleichungen, Formeln, Kurvenrechnungen. Liebe war von zu vielen Faktoren auf beiden Seiten abhängig, hatte sie erklärt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Gleichung aufging, war sehr gering. Einer liebte zu viel, der andere zu wenig. Irgendwo war immer ein Faktor X, der sich nicht berechnen ließ. Der ganz plötzlich auftauchen konnte. In meinem Fall hieß der Faktor X Sarah.
»Wann hast du denn aufgehört, Papa zu lieben?«
»Nie.«
Ich verschluckte mich am Rotwein. »Wie bitte?«
»Ich habe ihm nachgeweint, ihn gehasst, ihn verflucht. Aber das waren auch nur andere Formen von Liebe. Dann habe ich es aufgegeben und ihn wieder geliebt.«
»Na klasse. Das sind ja tolle Aussichten.«
Meine Mutter grinste mich plötzlich an.
»Sex hilft.« Ich verschluckte mich ein zweites Mal. Das war bestimmt nicht das, was ich von meiner Mutter als Vorbild hören wollte.
»Erst mal nur Sex, dann kannst du dich auch irgendwann neu verlieben.«
Was denn, Sex hoch x gleich neue Liebe? Diese Gleichung hatte sie mir nach ihrer Scheidung definitiv verschwiegen.
Ein Mann für zwischendurch
Tina dachte offenbar genauso. Vielleicht hatte sie auch nur Angst um ihren Garten. Auf jeden Fall zwang sie mich, mit ihr die Clubs unsicher zu machen, als sie mich eines Abends bei der Gartenarbeit erwischte.
»Um Gottes willen, was machst du da?«
»Ich zupfe Unkraut.«
»Nein, du rupfst Löcher in meinen Rasen. Okay, Karina, es reicht!«
»Nur noch diese Stelle, sonst ist bald alles wieder voll.«
»Sagte die Spezialistin für Wald- und Wiesenpflege. Mensch, guck dich doch mal an!«
Ich schaute verdutzt an mir herunter. Na und, dann hatte ich eben etwas Erde an den Knien, das gehörte zur Gartenarbeit nun mal dazu.
»Du arbeitest im Garten. Karina, du hasst Gartenarbeit. Du hasst Blumen gießen, und am allermeisten hasst du Unkrautzupfen. Du ziehst dich jetzt auf der Stelle um, und wir gehen tanzen!«
»Sind wir dafür nicht langsam zu alt?«
»Dafür hat der liebe Gott die Ü-30-Partys erfunden, Schätzchen.«
»O nein!« Ich sah Tina ungläubig an. »Das ist nicht dein Ernst.« Nachdem ich als Studentin zum Spaß mal eine Ü-30-Party besucht hatte und mir wie eine Urwaldforscherin vorgekommen war, die mitten im Dschungel auf eine noch unentdeckte Spezies gestoßen war, hatte ich mir vorgenommen, lieber Kontaktanzeigen aufzugeben, als jemals zu diesen verzweifelten Leuten zu gehören. Eine Ü-30-Party war wie Rudis Resterampe für schwer Vermittelbare. Eine schlecht kaschierte Kontaktbörse für alle, die sich nicht über den normalen Weg oder wenigstens das Internet in einer Partnerschaft eingefunden hatten. Ich hatte mich vor gerade mal acht Wochen von Tim getrennt. Ich gehörte definitiv noch nicht auf Rudis Resterampe.
»Oder willst du dich lieber in der Disco von Zwanzigjährigen angraben lassen, die mit ihren Kumpels gewettet haben, wer die Omi da am schnellsten rumkriegt?!«
Tina hatte wirklich eine drastische Art, mir meine aussichtslose Situation vor Augen zu führen.
»Und bemüh dich gar nicht erst, dich in Jeans und T-Shirt zu verstecken. Ich suche dir ein schickes Outfit raus.«
Ich wusste jetzt schon, dass der Abend ein Desaster werden würde.
Bei Ingo, dem fünfundvierzigjährigen Maschinenbauingenieur, hatte Tina endlich ein Einsehen. Nachdem ich vorher schon Jürgen, den siebenunddreißigjährigen Banker, Thomas, den neununddreißigjährigen Controller, und Flo, den fünfundzwanzigjährigen Afrikanistikstudenten, der die Party lediglich wie ich damals als große Freakshow betrachtete, in die Flucht geschlagen hatte. Bei meinen Feldstudien vor zehn Jahren hatte ich mal die Theorie aufgestellt,
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