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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leipert Sabine
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gelungenen Saisonrückblick zu erzählen. Anfangs hatten wir jedem meiner größeren Artikel gemeinsam entgegengefiebert und sie manchmal sogar mit einem Glas Sekt begossen. Irgendwann war meine Arbeit dann zur Normalität geworden. Bei Tim das Gleiche. Wenn er zu Beginn seines Referendariats eine Lehrprobe hinter sich gebracht hatte, stießen wir darauf an. Aber bald wusste ich nicht mal mehr, wann er welche hatte. Vielleicht war das das Geheimnis, warum Mamas Beziehung noch funktionierte und meine nicht. Sie konnte Karriere machen, sie konnte tagelang im Seminarraum über irgendwelchen Formeln hängen, Kongresse besuchen, Politik machen, ja sogar den wichtigsten Job an der Uni ergattern, solange sie es nur mit Chris teilte.
    »Das ist toll, Mama. Das ist wirklich toll.« Ich rang mir ein Lächeln ab und gratulierte ihr aufrichtig, als sie plötzlich anfing zu weinen und in die Küche flüchtete. Chris und ich sahen uns verdattert an. Selbst Kai war Omas Verhalten nicht ganz geheuer. »Was hat Omi?«, fragte er zwischen zwei Nudeln.
    Chris kam mir zu Hilfe. »Hey, Kleiner, was hältst du von einem Wettessen. Wenn du gewinnst, lasse ich dich vielleicht an meine neue Playstation.«
    »Au ja!«
    Im Normalfall hätte ich diese pädagogisch äußerst bedenklichen Vorschläge von Chris sofort unterbunden, aber dieses Mal ließ ich es durchgehen und sah lieber nach, was mit meiner Mutter los war.
    Sie stand in der Küche und versuchte, in einem Anfall von ziellosem Aktionismus Ordnung in das Chaos aus Töpfen, Pfannen, Gemüse- und Nudelresten zu bringen, während sie sich gleichzeitig die Nase schnäuzte.
    »Es ist meine Schuld, oder?«, fragte sie, ohne sich zu mir umzudrehen.
    »Dass Tim mich betrogen hat?«, fragte ich ungläubig. »Eher unwahrscheinlich.«
    »Dass deine Beziehungen immer wieder zerbrechen.«
    Wie schaffte sie es, die Schuld großzügig auf sich zu nehmen und mir trotzdem gleichzeitig einen Vorwurf unterzujubeln?
    »Nein, ich glaube nicht, Mama. Es sei denn, du hast auf irgendeine mysteriöse Weise dafür gesorgt, dass Tim mit der Französischlehrerin auf Klassenfahrt geht.«
    Aber meine Mutter ließ das nicht gelten.
    »Ich war dir einfach kein gutes Vorbild. Ich habe damals alles falsch gemacht, als dein Vater …«
    Ihre Stimme wurde von einem weiteren Tränenschwall erstickt. Gleichzeitig wischte sie immer wieder über die einzige freie Stelle auf der Arbeitsplatte. Ich nahm ihr den Lappen aus der Hand und führte sie zu dem kleinen Tisch, der in der Küche stand. Dann drückte ich sie in den Stuhl und goss ihr und mir ein Glas Rotwein ein.
    »Mama, deine Trennung von Papa hat nichts mit mir und Tim zu tun. Du glaubst doch sonst auch nicht an diesen ganzen esoterischen Quatsch.«
    »Ich habe dir aber nie gezeigt, wie man richtig mit Beziehungsproblemen umgeht.«
    »Ich war ein Teenager, ich wollte nur Probleme haben und nicht wissen, wie man damit umgeht.«
    Es munterte meine Mutter immer auf, wenn sie über meine wilden Jahre herziehen konnte. Auch dieses Mal.
    »Ja, allerdings. Du warst ein Teenager. Und zwar einer von der ganz schlimmen Sorte.«
    Sie lächelte mir zu und wir stießen auf meine schlimmen Teenagerjahre an.
    »Kai scheint es auf jeden Fall besser wegzustecken als du damals«, sagte sie, und ich musste schlucken.
    »Er ist noch zu klein«, erklärte ich leise. »Er versteht es noch nicht.« Und damit ich selbst nicht auch noch in Tränen ausbrach, suchte ich mir schnell ein anderes Thema. »Die Spaghetti waren lecker.«
    »Du hast ja kaum etwas gegessen.«
    »Ich hatte nur keinen Hunger.«
    Liebeskummer schlug mir immer auf den Magen. Ich beneidete die Leute fast, die sich nach Trennungen mit einem Liter Schokoladeneis darüber hinwegtrösten konnten. Ich brachte wochenlang keinen Bissen herunter. Meine Mutter musterte mich.
    »Du solltest aber mal wieder mehr essen, Karina.«
    »Ach was, ein paar Kilo weniger tun mir sowieso ganz gut.«
    »Mensch, Tim konnte so gut kochen.«
    Sicher, das war natürlich das Schlimmste an meiner Trennung von Tim. Er konnte kochen und ich nicht. Ich verdrehte genervt die Augen. Irgendwie kam sie von jedem Thema wieder auf Tim zurück.
    »Vor Tim bin ich auch nicht verhungert.«
    »Und du meinst nicht, dass ihr euch noch mal zusammenraufen könnt?«
    Langsam hatte ich das Gefühl, wir hatten unsere Rollen vertauscht. Eigentlich sollte ich diejenige sein, die am Boden zerstört war und von ihr aufgemuntert werden musste. Ich war die Tochter. Sie die

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