Seitenwechsel
selten. In den ganzen fünf Jahren, die ich ihn nun kannte, hatte ich nur zweimal erlebt, wie er die Fassung verlor. Und beide Male war ich der Grund dafür gewesen. Er trug seine Konflikte in der Regel ruhiger aus und ließ sich nicht so sehr von seinen Gefühlen leiten wie ich. Aber jetzt hatte ich es mal wieder geschafft, ihn aus der Reserve zu locken.
»Hannes kenne ich wenigstens«, konterte ich.
»Aber Kai kennt ihn nicht.«
»Ich weiß, dass ich Hannes vertrauen kann.«
Tim schüttelte genervt den Kopf und stieß ein merkwürdiges Schnaufen aus. »Ja, natürlich. Er ist es also, hm?«
»Wer ist was?«
»Der unbekannte Neue ist dein Chef.«
Ich zuckte mit den Schultern, aber warum sollte ich es auch weiter vor Tim leugnen. »Na und? Er ist nett. Wir verstehen uns gut.«
»Das habt ihr vorher doch auch schon, oder nicht?«
»Was?«
»Euch gut verstanden.«
»Wie bitte?« Ich wusste wirklich nicht, worauf er hinauswollte. Ich ahnte es, aber ich wollte es nicht glauben.
»Ich meine ja nur, du hast viel von ihm erzählt«, bestätigte Tim meinen Verdacht. Er wollte mir etwas mit meinem Chef anhängen, nur damit seine Affäre nicht der einzige Grund war, der zu unserer Trennung geführt hatte.
Fassungslos blaffte ich zurück: »Natürlich habe ich viel von ihm erzählt, weil ich von der Arbeit erzählt habe.« Ich spürte schon wieder Tränen der Wut in mir aufsteigen und meine Stimme fing an zu zittern: »Vielleicht hättest du auch mehr von der Arbeit erzählen sollen, dann wäre ich wenigstens besser auf deine Sarah vorbereitet gewesen.« Ich hatte Mühe, mich zurückzuhalten. Am liebsten hätte ich mit meinen Fäusten auf ihn eingetrommelt, so ohnmächtig machte mich seine Unterstellung. Aber Tim setzte noch einen drauf: »Ist trotzdem komisch, dass du ausgerechnet mit ihm zusammenkommst, kurz nachdem wir …« Er verstummte, als er meinen funkelnden Blick sah. Ich schüttelte ungläubig den Kopf und zischte eindringlich: »Nicht, Tim. Versuch es gar nicht erst. Ich hätte unsere Beziehung nie aufs Spiel gesetzt.«
Tim schaute getroffen zu Boden. Eine Weile sagte keiner von uns ein Wort. Wir hatten beide an den Vorwürfen des anderen zu knabbern.
»Es geht so nicht weiter«, presste ich schließlich hervor. »Ich will Kai öfter sehen.«
»Und wie stellst du dir das vor?« Auch Tims Stimme klang belegt. Wir waren also da angekommen, wo jedes Paar nach einer Trennung unweigerlich ankam, wenn ein Kind mit im Spiel war.
»Ich kann ihn auch in den Kindergarten bringen und abholen. Er kann genauso gut bei mir schlafen, und wenn ich frei habe, dann kann er sogar den ganzen Tag bei mir bleiben.«
»Das funktioniert doch nicht, Karina.« Tim schüttelte müde den Kopf.
»Und ob das funktioniert!«, fuhr ich Tim wütend an. »Ich will nicht, dass Kai mehr Zeit mit Sarah verbringt als mit mir.«
»Ach, das ist also dein Problem. Dir geht es gar nicht um Kai, sondern um Sarah.«
»Nein, mir geht es darum, dass ich Kais Mutter bin und nicht sie!«
Und damit wandte ich mich ab und ließ Tim zurück, bevor er die Tränen sehen konnte, die mir plötzlich unaufhaltsam über die Wangen liefen, vor lauter Ohnmacht, Wut und Eifersucht. Mir gingen so viele Gedanken und Gefühle durch den Kopf, dass er kurz davor war zu platzen.
»Schön, keiner hindert dich daran. Ich weiß nur nicht, wie du das hinkriegen willst, ohne Probleme mit deinem Chef, pardon, Freund zu kriegen«, rief Tim mir genauso wütend nach, und am liebsten wäre ich umgekehrt und hätte ihm eine Ohrfeige gegeben. Aber die Tränen liefen immer schneller über mein Gesicht, und ich beschleunigte meinen Schritt und sprang in mein Auto, wo ich meinen Gefühlen endlich freien Lauf lassen konnte. Ich schlug wütend mit den Handflächen aufs Lenkrad, aber als ich dadurch ungeschickt die Hupe auslöste, schreckte ich zurück und schaute in den Rückspiegel. Tim stand immer noch vor der Haustür und fror.
Grippesymptome
Maisonette, drei Zimmer, Küche, Bad in Köln-Sülz, 1000 kalt. Drei Zimmer, Küche, Bad, WC in einem sanierten Altbau in Köln-Nippes, 1100 kalt. Drei Zimmer, Wohnküche, Bad in Köln-Ehrenfeld, 1200 kalt, dafür mit Garage und Gartennutzung.
Ich schluckte. Offenbar hatte sich am Mietspiegel einiges geändert, seit ich das letzte Mal auf Wohnungssuche war. Ich verdiente zwar auch mehr, aber ich hatte nicht vor, fast die Hälfte meines Gehalts für eine Wohnung auszugeben, die ich die meiste Zeit der Woche nur zum Schlafen benutzte,
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