Seitenwechsel
Rettung?«
Nein. Meine letzte Rettung versperrte mir in Form einer Sitzblockade den Weg zu ihrem Haus, um auch ja sicherzugehen, dass ich meine Möbel nicht bei einer Nacht- und Nebelaktion dort abladen würde. Tina konnte zu sehr drastischen Mitteln greifen, wenn sie befürchtete, dass Worte bei mir nicht weiterhalfen. Als hätte sie geahnt, dass ich mit meinem vollbeladenen Lieferwagen genau dann vorfahren würde, wenn sie eigentlich mit Aygün ihren Tanzkurs zwecks Vorbereitung auf die zweite Hochzeit besuchen sollte. Sie verweigerte mir beharrlich den Zutritt zu ihrem frisch renovierten Haus. Auch als ich ihr drohte, dass ich dann eben zu Hannes ziehen würde, wich sie keinen Millimeter zurück. Im Gegenteil, plötzlich hielt sie es für eine unheimlich gute Idee, die zarten Bande zu meinem Chef durch übereiltes Zusammenziehen zu verstärken, und bot mir sogar an, beim Ausladen behilflich zu sein.
Der Umzug selbst ging am Ende schneller als erwartet. Außer ein paar Regalen und einem großen, massiven Schreibtisch aus meinem Arbeitszimmer besaß ich nur noch einen alten Schrank und ein noch älteres Bett aus Studentenzeiten, die die letzten Jahre in Tims Keller gelagert hatten. Der Rest waren Aktenordner, Bücherkisten und Kleinigkeiten. Ich fand es selbst etwas enttäuschend, wie wenig aus unserer gemeinsamen Wohnung tatsächlich von mir stammte, aber alles andere hatte entweder schon vorher Tim gehört, oder wir hatten es gemeinsam besorgt und noch nicht unter uns aufgeteilt. Was mich anging, war die Aufteilung simpel. Ich wollte nichts, was mich auch nur irgendwie an Tim erinnerte. Also hatte ich alles dagelassen, was einen nostalgischen Wert besaß. Ich wollte den Neuanfang ohne Altlasten machen. Besonders nach gestern Nacht, nach unserem Streit, der mir noch mal vor Augen geführt hatte, wie viel zwischen uns zu Bruch gegangen war. Tim und ich hatten heute Nachmittag kaum ein Wort miteinander gewechselt, während er mir half, meine Sachen runterzutragen und aus dem Keller zu holen. Wir hatten geschuftet und geschwiegen. Jeder Versuch, sich über die Angelegenheit mit Kai und Sarah einig zu werden, hätte wieder in einem Streit geendet. Aber auch so, ohne dass viel mehr als ein »Hallo«, »Tschüs« oder »den Karton noch« zwischen uns gefallen war, hatte die Begegnung mit ihm mir wieder arg zugesetzt.
Nachdem Tina und ich alles aufgebaut hatten und sie sich müde von mir verabschiedete, brauchte ich eine halbe Stunde und ein ganzes Kölsch, um mir darüber klarzuwerden, dass hiermit das Kapitel Tim endgültig abgeschlossen war. Er spielte ab jetzt in meinem Leben keine Rolle mehr. Außer als Randfigur im Zusammenhang mit Kai. Von jetzt an gab es nur noch mich und Kai, ohne Tim.
Und es gab Hannes. Es war komisch, ihn kurz vor Mitternacht, als er endlich nach einem langen, aufregenden Champions-League-Abend aus der Redaktion kam, in seiner eigenen Wohnung zu begrüßen. Auch wenn ich mir einredete, dass wir ja nicht wirklich zusammenwohnten. Im Grunde teilten wir uns nur den Flur. Wenn ich wollte, konnte ich einfach die Eingangstür zu meinem Bereich zumachen, und schon war ich allein. Dass wir das in der Praxis natürlich so gut wie nie umsetzen würden, war uns beiden klar. Vielleicht war es mir auch ein bisschen klarer als ihm, denn als wir schlafen gehen wollten und ich wie selbstverständlich die Stufen zu seinem Schlafzimmer hochtapste, schickte er mich wieder runter.
»Heute ist deine erste Nacht«, gähnte er mich an.
Ich sah ihn verständnislos an, und Hannes fügte erklärend hinzu:
»In deiner neuen Wohnung. Du weißt doch, die erste Nacht ist wichtig. Was du heute Nacht träumst, geht schließlich in Erfüllung.«
War das jetzt eine nette Art, mir zu sagen, ich sollte mich gefälligst an den Mietvertrag halten und meine Räume nicht ungefragt verlassen?
»Aber in deinem Bett kann ich viel besser träumen«, erklärte ich wahrheitsgetreu, denn die Aussicht, eine Nacht in meinem alten Bett zu verbringen, das über drei Jahre in einem Keller vor sich hin geschimmelt hatte, lud nicht gerade zu süßen Träumen ein.
»Tut mir leid, ich habe die Regel nicht gemacht«, verteidigte Hannes sich.
»Du willst mich also tatsächlich nicht in deinem Bett haben, ja?«
»Nein, ich will dich nur nicht um die Erfüllung deiner Träume bringen.« Er lächelte mich müde an. Ich zog ihn an mich. »Sehr poetisch, Herr Jost. Wirklich sehr poetisch, dafür dass du mich auf mein muffiges, viel zu kleines
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