Seitenwechsel
ab und zu für ein paar Tage mit Kai teilte und gelegentlich gar nicht aufsuchte, weil ich entweder beruflich unterwegs oder privat bei Hannes war. Trotzdem brauchte ich drei Zimmer, wenn ich Kai ein eigenes Kinderzimmer bieten wollte. Vier, wenn ich mir den Luxus eines Arbeitszimmers gönnen wollte, das ich einfach abschließen konnte, wenn ich die Nase voll von Aktenbergen, Bücherstapeln und vollgekritzelten Notizbüchern hatte. Nach dem ersten Blick in die Wohnungsanzeigen war mir klar, dass es nicht einfach sein würde, meine vollmundig angekündigten Veränderungen durchzuziehen, aber ich wollte Tim beweisen, dass ich es ernst meinte. Zu dem Zweck hatte ich mir bereits einen Lieferwagen für den Nachmittag reserviert und musste gleich nur noch Tina ein paar Stunden telefonisch bearbeiten, bis sie einwilligte, ihre frisch renovierte erste Etage als Zwischenlager für meine Möbel herzugeben.
Bisher war ich ganz zufrieden mit den Ergebnissen meiner frühmorgendlichen Aktionen. Ich saß auf dem Parkplatz vor der Redaktion im Auto, schlürfte einen Coffee To Go und blätterte weiter durch die lose Ansammlung von Anzeigen, die mir Claudia vom Anzeigenservice großzügigerweise kopiert hatte, obwohl sie erst am Samstag rauskommen würden. Das war zwar unlauterer Wettbewerb, aber zu irgendetwas musste der Mitarbeiterbonus ja gut sein. Außerdem hatte ich am Samstag, wie jedes Wochenende, ohnehin keine Zeit, um auf Wohnungssuche zu gehen. Eigentlich hatte ich heute auch keine Zeit dafür, aber ich spielte mit dem Gedanken, mich kurzfristig krank zu melden. Das war der einzige Punkt auf meiner morgendlichen To-do-Liste, der mich störte. Aber ich fand mich absolut überzeugend, als Hannes anrief und sich erwartungsgemäß nach meinem plötzlichen Verschwinden gestern Nacht erkundigte.
Statt einer Antwort hustete ich tuberkuloseverdächtig, nur um dann ins Handy zu keuchen, dass ich in der Nacht plötzlich heftige Kopf- und Gliederschmerzen bekommen und mich dann lieber in mein eigenes Bett verzogen hätte.
»Du meinst auf die Matratze?«
»Ja.«
»In dem zugigen Dachgeschoss deiner Freundin?«
»Ja, aber … die Ritzen sind jetzt alle mit Bauschaum gestopft.«
»Na, dann brauche ich mir ja keine Sorgen zu machen.«
»Nein. Es wird schon wieder. Aber vielleicht bleibe ich heute besser zu Hause.«
»Ja, das wäre zumindest besser, als im kalten Auto auf dem Parkplatz vor der Redaktion zu frieren«, kam es plötzlich als Echo aus meinem Handy, nur einen Sekundenbruchteil hinter dem Originalton vom Beifahrersitz, auf dem Hannes gerade Platz nahm. Ich schaute das Original eine Weile entgeistert an, bevor ich lahm hervorstieß: »Oh, du bist schon hier?« Mehr hatte ich als Entschuldigung nicht zu sagen.
»Ja, und ich kann sogar deinen Parkplatz von meinem Büro aus sehen.«
»Oh, okay, danke für den Tipp, dann parke ich das nächste Mal woanders, wenn ich mich krank melden will«, versuchte ich die Situation zu retten. Ich sah ihn zerknirscht an, aber für einen Chef ließ er die nötige Portion Strenge ohnehin arg vermissen. Stattdessen betrachtete er mich nachdenklich. »Dein, ähm, plötzlicher Grippeanfall, hat der vielleicht etwas mit unserem Gespräch von gestern Abend zu tun?«
»Nein, überhaupt nicht«, versicherte ich ihm schnell.
»Ist wirklich alles in Ordnung? Wenn du vielleicht etwas Abstand brauchst, dann kannst du es ruhig sagen.«
»Nein. Nein, wirklich. Ich brauche keinen Abstand … sondern eine Wohnung.«
Zum Beweis zeigte ich ihm die kopierten Anzeigen. Hannes lächelte erleichtert, auch wenn er immer noch nicht glücklich darüber war, dass ich ihn belügen wollte. Zu meiner Entlastung erklärte ich ihm schnell mein ganzes Problem mit Sarahs überstürztem Einzug bei Tim, Kais Frage, ob sie jetzt seine neue Mutter wäre, und meiner vorlauten Ankündigung, noch heute alle meine Sachen aus der alten Wohnung zu holen und Kai in Zukunft öfter bei mir zu Hause übernachten zu lassen, was zunächst einmal natürlich überhaupt ein Zuhause voraussetzte. Meinen Streit mit Tim sparte ich vorsichtshalber aus.
»Also, kriege ich heute frei?«, versuchte ich es dieses Mal auf die ehrliche Art.
»Nein«, antwortete Hannes kurz und knapp.
»Was?«
»Ich kann dir nicht einfach so freigeben.«
»Na toll, dann hätte ich mich ja sowieso krank melden müssen.«
»Ja, aber das geht jetzt nicht mehr.« Ich schaute ihn vollkommen perplex an, und Hannes fügte versöhnlich hinzu: »Aber ich finde es
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