Seitenwechsel
meinte es vollkommen ernst.
»Du meinst, ob ich vorhabe, meinen Sohn, für den ich das Sorgerecht besitze, ins Ausland zu entführen, um mein restliches Leben mit ihm auf der Flucht zu verbringen. Hm, reizvoller Gedanke, aber nein.«
»Gut, das wollte ich nur wissen. Ich beteilige mich nämlich nicht gerne an Straftaten.«
Ich schüttelte lachend den Kopf. Hannes traute mir offenbar einiges zu. Dann verabschiedete ich mich schnell von Kai und versicherte ihm, dass er vor Hannes keine Angst haben musste. Was überflüssig war, denn kaum hatte Hannes seine Hand genommen, hatte Kai seine Scheu vor ihm schon abgelegt und fragte ihn unverblümt: »Bist du Mamas neuer Freund?«
Hannes und ich sahen uns kurz überrascht an, nur um zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen zu kommen. Hannes bejahte Kais Frage, während mir ein deutliches »Nein, natürlich nicht, Schatz« rausrutschte. Wieder sahen Hannes und ich uns überrascht an, aber ich wandte mich schnell wieder Kai zu, der mich nicht weniger irritiert anschaute. »Ähm, das ist so, Kai, Hannes ist mein Chef und deswegen natürlich auch mein Freund. Also, ein Freund, ein guter Freund, mit dem ich eben viel zusammenarbeite, okay?«
Kai nickte. Für ihn war die Erklärung ausreichend. Für Hannes weniger. Das konnte ich seinem Blick entnehmen, als ich mich hektisch verabschiedete und an meinen Schreibtisch flüchtete. Na, das konnte ja ein heiteres Interview werden.
Es war schon spät, als wir meinen Sohn schließlich zu Tim zurückbrachten. Kai war auf Hannes’ Rücksitz eingeschlafen, deswegen fuhr er uns zu Tims Wohnung und half mir, ihn in die vierte Etage zu tragen. Tim war nicht glücklich darüber, das konnte ich an seinem Gesichtsausdruck sehen, auch wenn er nichts dazu sagte. Natürlich hatte er meine Lüge vor Sarah von vorne bis hinten durchschaut, aber auch dazu verkniff er sich jeden Kommentar. Er nahm Hannes Kai ab und fand sogar noch die Güte, ihm die Hand zu reichen.
»Hallo, ich bin Tim. Tim Norlinger.«
»Hannes Jost.«
Tim schien sich nicht einen Moment zu wundern, obwohl er wusste, dass ein gewisser Hannes Jost mein Chef war.
»Ich habe schon viel von Ihnen gehört«, sagte er stattdessen bemüht freundlich.
»Gelesen wäre mir lieber.«
Tim lachte höflich über Hannes’ Scherz. Dann schüttelten sich mein Ex und mein noch nicht genau definierter Freund die Hand, und ich wünschte mich an irgendeinen entfernten Ort. Erst recht, als auch noch Sarah dazukam und anmerkte, dass das Spiel wohl ziemlich aufregend für Kai gewesen sein musste, so tief und fest wie er schlafe.
Ich drängte Hannes zu gehen. Aber als wir schließlich wieder auf der Straße waren und schweigend zum Auto zurückgingen, fühlte ich mich noch unwohler. Wir schwiegen sonst nie. Im Gegenteil, wir redeten fast immer, wenn wir zusammen waren, besonders ich, weil gemeinsames Schweigen mir irgendwie unbehaglich war, wenn ich den anderen noch nicht so gut kannte. Ich überlegte die ganze Zeit, wie ich locker über meinen Fauxpas von vorhin hinweggehen konnte, aber mir fiel keine Lösung ein. Also entschuldigte ich mich lieber für meine holprige Erklärung. »Ich denke nur, Kai ist einfach noch nicht so weit. Das ging alles so schnell, die Trennung, Tims neue Freundin und jetzt unser … Ding.«
»Ding?«, wiederholte Hannes belustigt. »Aha. Ist das jetzt der neue Fachausdruck für Sachen, die wir nicht näher benennen wollen?«
Er sagte es scherzhaft, aber uns beiden war klar, dass es an der Zeit war, eben genau dieses Ding näher zu definieren. Immerhin sahen wir uns seit zwei Monaten regelmäßig ein bis zweimal die Woche. Manchmal gingen wir essen, manchmal ins Kino. Aber meistens fuhr ich nach der Arbeit einfach nur zu ihm, übernachtete bei ihm und tat am nächsten Morgen so, als würde ich nicht gleichzeitig mit ihm in die Redaktion zurückkommen. Es war ein langsames Herantasten an das, was für Hannes auf eine Beziehung hinauslief und wovor ich noch immer zurückschreckte.
Hannes zog mich an sich und sah mich ernst an. »Es geht hier doch gar nicht um Kai, Karina, das wissen wir beide. Also, wofür steht dieses Ding für dich?«
»Ähm, für eine unvernünftige Affäre zwischen dem Chef und der einzigen Frau in seiner testosterongeschwängerten Sportredaktion?«, erwiderte ich bemüht witzig und erwartete nun, dass Hannes sich enttäuscht zurückzog. Aber er nahm es mit Humor. »Das ist immerhin schon mehr als der unvernünftige Ersatzsex gegen Liebeskummer,
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