Seitenwechsel
völlig überzeugt: »Bestimmt hundert!«
Ich fand, dass es an der Zeit war, ihm andere Zahlen beizubringen, und gab es auf, überhaupt etwas über Sarah aus Kai herauszuquetschen. Doch in dem Moment fragte er unschuldig: »Ist sie jetzt meine neue Mama?«
Mir wurde schlagartig eiskalt. Entsetzt schaute ich in den Rückspiegel, aber Kai wollte es ganz ernsthaft von mir wissen. Seine grünen Augen waren zu nachdenklichen Schlitzen verengt. Natürlich musste es verwirrend für so ein kleines Ding sein, wenn plötzlich eine neue Frau überall dort war, wo sonst Mama gewesen war. Zu Hause, neben Papa, im elterlichen Bett. Ich musste mehrmals schlucken, bevor ich antworten konnte: »Nein, Kai, das ist sie nicht. Du weißt, dass ich nicht mehr bei Papa und dir wohnen kann. Aber egal, welche Frau mit Papa zusammen ist, ich bleibe immer deine Mama, okay?! Und zwar deine einzige Mama.«
Ja, ich war seine Mama. Aber was für eine. Eine Mama, die ihren Sohn lieber belog, als ihn ihrer Konkurrentin zu überlassen. Die einem kleinen Jungen falsche Versprechungen machte und ihn dann zwingen musste, zwei Stunden still auf einem Stuhl zu sitzen, damit sie ihre Arbeit erledigen konnte.
»Ich habe ein Problem.« Ich versuchte, Hannes möglichst sanft darauf vorzubereiten, aber er ahnte schon, wo mein Problem lag, als Kai schüchtern hinter meinen Beinen hervorlugte. »Ich habe Kai versprochen, mit ihm zu einem Spiel ins Stadion zu fahren.«
»Aber heute ist Dienstag, da findet doch gar kein Spiel statt.«
»Das weiß ich. Aber Kai nicht«, flüsterte ich. Und Sarah hoffentlich auch nicht, fügte ich stumm hinzu.
Hannes sah mich irritiert an, aber ich konnte ihm unmöglich erklären, was mich zu dieser Lüge getrieben hatte. Im Moment verstand ich es ja selbst nicht mehr. Tatsache war, dass in fünf Minuten mein Interviewtermin auf meinen Anruf wartete und der Manager ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass das Zeitfenster seines Schützlings extrem klein war. Ich schaute auf die Uhr, auf der sich auch mein Zeitfenster erbarmungslos immer weiter schloss, während Kai mich mit Fragen zu einem Spiel löcherte, für das ich mir jetzt ziemlich spontan einen Absagegrund einfallen lassen musste. Ich konnte jetzt schon die Enttäuschung auf seinem süßen Gesicht sehen.
»Kannst du kurz auf ihn aufpassen? Nur fünf Minuten. Nur für das Interview«, versicherte ich Hannes nervös. Die wenigen Kollegen, die als Babysitter in Frage kamen, waren gerade selbst im Stress oder unterwegs. Und mit Kai am Schreibtisch würde ich mich keine Sekunde auf das Telefonat konzentrieren können.
»Fünf Minuten?«, fragte Hannes skeptisch. Ich nickte zerknirscht.
»Ich hatte gehofft, du führst deine Interviews etwas gründlicher.«
Ich sah ihn irritiert an. War das jetzt ein Vorwurf? Ein versteckter Hinweis darauf, dass Kinder bei der Arbeit nichts zu suchen hatten? Aber Hannes kam lächelnd auf Kai und mich zu.
»Ich weiß etwas Besseres. Ich fahre gleich noch mit einem Fotografen raus. Da kommen wir auch am Stadion vorbei. Ich brauche sowieso mal ein paar ungewöhnlichere Perspektiven als den Nullachtfuffzehn-Kram. Was hältst du davon, mal selbst aufs Tor zu schießen?«
Er hatte sich mit der Frage zwar an Kai gewandt, aber ich weiß nicht, wer von uns beiden die größeren Augen machte. Hannes’ Vorschlag war besser als alles, was ich mir als Entschädigung notdürftig aus dem Ärmel geschüttelt hätte. Kai willigte schnell ein, auch wenn er zuerst Skrupel hatte, dass dann wegen ihm das Spiel nicht stattfinden konnte. Aber Hannes versicherte ihm, dass der FC sowieso lieber am Wochenende spielte und die Spieler überhaupt nicht böse darüber seien.
Ich war so erleichtert, dass ich völlig vergaß, ihm zu danken. Stattdessen drückte ich Hannes hektisch Kais Tasche in die Hand.
»Hier ist Saft drin, falls er Durst hat, und eine Banane, für zwischendurch. Und lass ihn bloß nicht aus den Augen, er ist schneller weg, als man gucken kann, und wenn er Pipi muss …«
»Ich komme schon klar, Karina, er ist nicht mein erstes Kind.«
»Ach wirklich? Gibt es da etwas, das ich von dir wissen sollte?« Netter Dank dafür, dass er mir gerade den Arsch rettete.
»Vieles, aber eigene Kinder gehören nicht dazu, falls du das meinst.«
Ich grinste ihn an, aber Hannes zog mich diskret zur Seite, während Kai begeistert die Autogrammsammlung an seiner Wand begutachtete.
»Eine Frage noch, du planst aber nicht irgendetwas Illegales, oder?« Er
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