Seitenwechsel
sich nicht darüber beschweren, wenn ich mal zu spät von der Arbeit nach Hause kam, weil er mir dann den Auftrag selbst zugeteilt hatte. Er war witzig, nett, intelligent, zärtlich. Rein objektiv betrachtet gab es überhaupt keinen Grund, warum das zwischen uns keine ernstzunehmende Beziehung sein sollte.
Hannes zog mich an sich. »Wenn es das Regelwerk so festlegt, müssen wir uns wohl daran halten.«
»Ja, das müssen wir wohl«, lächelte ich.
»Das ist gut«, antwortete er. »Ich fange nämlich langsam an, mich in dich zu verlieben.«
Der belustigte Unterton war völlig aus seiner Stimme verschwunden, und er sah mir direkt in die Augen. Ich spürte, dass ich rot wurde, und versuchte es vor ihm zu verbergen, indem ich sein Gesicht zu mir herunterzog und ihn lange, lange küsste.
Wohlfühlfaktor
Ich hätte nie gedacht, dass eine Schaukel zu einem Politikum werden könnte. Zugegeben, es war keine normale Schaukel. Es war eine Indoor-Schaukel, und ich konnte Hannes gar nicht genug dafür danken, dass er auf die glorreiche Idee gekommen war, sie in dem weitläufigen Eingangsbereich seines Lofts für Kai anzubringen. Ich hatte es zwar auch vorher kein einziges Mal bereut, bei Hannes eingezogen zu sein. Aber die Schaukel führte mir noch mal vor Augen, warum es die richtige Entscheidung gewesen war. Kai liebte Hannes’ Loft, das mit seinen Treppengeländern, Stützpfeilern und der offenen zweiten Etage für ihn ohnehin schon ein halber Abenteuerspielplatz war. Er liebte sein neues eigenes Zimmer mit nagelneuem Hochbett und Kuschelecke.
Aber die Schaukel übertraf alles, und das machte sie zum Politikum. Zwischen Tim und mir. Tim hatte nicht damit gerechnet, dass ich meine vollmundigen Ankündigungen tatsächlich in die Tat umsetzen würde. Als er mitbekam, dass ich nun doch bei Hannes eingezogen war, verkniff er sich noch einen Kommentar. Als ich durchsetzte, dass Kai nun drei Tage die Woche bei mir verbringen sollte, gab er widerwillig klein bei, nachdem wir ergebnislos ausdiskutiert hatten, ob dieses Hin und Her Kais Entwicklung schaden könnte. Aber als Kai ihm von der Schaukel erzählte und lieber bei Hannes und mir als bei ihm und Sarah bleiben wollte, wurde es Tim zu viel. Er warf mir vor, Kai mit dieser Schaukel beeinflussen zu wollen, und nachdem ich erst alles abgestritten hatte, musste ich mir eingestehen, dass Tim recht hatte. Der Kampf um die Zuneigung unseres Sohnes war offen entbrannt, und ich führte ihn mit unlauteren Mitteln, weil Tim in seiner Altbauwohnung niemals eine Schaukel hätte anbringen dürfen. Mit der Schaukel lag ich in Kais Gunst ganz eindeutig vorne, und ich hätte Tim vermutlich komplett ins Abseits katapultieren können, wenn ich auf Hannes’ Vorschlag eingegangen wäre, eine Rutsche von der ersten Etage ins Erdgeschoss anzubringen. Aber ich sah ein, dass Tim und ich unseren Streit nicht länger auf Kais Rücken austragen durften. Also regelte ich die Sache ganz diplomatisch. Die Schaukel blieb, die Rutsche kam in den Keller, und wir hörten auf, miteinander zu reden. Es ging nicht anders. Wann immer Tim und ich versuchten, ein sachliches Gespräch zu führen, flogen früher oder später die Fetzen. Meistens auf meiner Seite, weil ich meine Wut auf ihn, sein unreifes Verhalten und erst recht auf seinen Versuch, mir eine vorzeitige Affäre mit Hannes anzuhängen, einfach nicht zurückhalten konnte. Dieser Vorwurf nagte an mir mehr als alles andere, was wir uns im Laufe unserer Streitereien bereits an den Kopf geworfen hatten.
Also beschloss ich, dass es das Beste war, gar nicht mehr mit ihm zu reden. Die Beziehung zwischen Tim und mir, wenn sie den Namen überhaupt noch verdient hatte, war auf einem absoluten Gefrierpunkt angekommen. Und nachdem ich mir darüber klargeworden war, dass sich daran auch nichts mehr ändern würde, konnte ich mich umso besser auf meine Beziehung mit Hannes einlassen, die auf einer angenehmen Temperatur vor sich hinköchelte. Ich hatte selten mit einem so unkomplizierten Mann zusammengewohnt, was vermutlich daran lag, dass Hannes noch seltener zu Hause war als ich. Wir liefen uns immer noch öfter bei der Arbeit als im Loft über den Weg, und der einzige Unterschied zu vorher war, dass wir uns abends noch persönlich gute Nacht sagen konnten, bevor wir todmüde nebeneinander ins Bett fielen. Aber wenn wir dann die wenige Zeit, die wir außerhalb der Redaktion miteinander hatten, zusammen verbrachten, fühlte ich mich total entspannt. Wir konnten
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