Seitenwechsel
faul auf dem Sofa herumlungern und Pizza essen, während wir uns durch Hannes’ DVD-Sammlung arbeiteten. Wir konnten auch jeder für sich in einer Ecke hocken und die Nase in ein Buch stecken, ohne dass sich jemand benachteiligt fühlte. Oder wir konnten mit Kai aus dem Küchentisch eine Ritterburg bauen und stundenlang auf den Knien hinter dem Sofa vor dem bange erwarteten Angriff der bösen Orgs ausharren, ohne dass Hannes langweilig wurde. Er und Kai verstanden sich prächtig und hatten damit meine größte Sorge, die zwischen mir und einer neuen Beziehung stand, schnell ausgeräumt. Wer uns drei zusammen sah, konnte auch Hannes für Kais Vater halten, so selbstverständlich nahm er sich ihm an.
Vielleicht war ich zu früh bei Hannes eingezogen, nein, ganz sicher war ich zu früh und viel zu überstürzt bei ihm eingezogen. Was Hannes und mich betraf, hätten wir uns ruhig mehr Zeit lassen können, auch wenn wir früher oder später wohl zu dem gleichen Ergebnis gekommen wären. Aber für Kai und mich hätte es keine Sekunde später sein dürfen. Endlich konnte ich meine Zeit mit ihm wieder genießen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, weil ich ihm kein Zuhause bieten konnte, das nicht mit Bauschaum und rostigen Nägeln zusammengehalten wurde. Endlich konnte ich mich bei unseren Spielen wieder auf Kais teilweise undurchschaubare Spielregeln konzentrieren, ohne dass meine Gedanken ständig um Sarah kreisten und darum, ob sie den Angriff der Superorgs besser abwehren konnte als ich.
Aus Tim, Kai und mir war schneller als erwartet ein Hannes, Kai und ich geworden. Das wurde mir richtig bewusst, als Hannes, Kai und ich zusammen Weihnachten feierten. Tim hatte es uns angeboten, weil er mit Kai und Sarah direkt nach den Feiertagen für eine Woche in den Ski-Urlaub aufbrechen wollte. Wir waren inzwischen ganz gut darin auszuhandeln, wer Kai wann und wie lange bekam, wie viel zum Beispiel ein Feiertag wert war und was man im Gegenzug dafür fordern konnte.
Unser gemütlicher Heiligabend zu dritt entschädigte mich mehr als genug für eine Woche ohne Kai. Es war schön, in Kais glückliches Gesicht zu schauen, jedes Mal, wenn er ein Geschenk auspackte und völlig überraschend wieder ein Spielzeug darin war, das er mit meiner Hilfe auf die Wunschliste für den Weihnachtsmann geschrieben hatte. Dieses Mal hatte es ihm vor allem der Müllwagen angetan, für den Hannes sich nach einer halbstündigen Rücksprache mit mir entschieden hatte. Er wollte damit nicht Kais spätere Berufswahl beeinflussen, aber ich versicherte ihm, dass Kai sich schon mit zwei für eine Karriere als Feuerwehrmann entschieden hatte und daran auch nicht mehr zu rütteln war. Der Mini-Müllwagen konnte echte Mini-Mülltonnen hochstemmen und echten Minimüll entleeren. Kai war davon so begeistert, dass er darüber fast die festlichen Spaghetti mit Tomatensoße vergaß und den restlichen Abend damit verbrachte, alles in seinen Müllwagen zu stopfen, was sich in seinen Augen als Müll eignete. Irgendwann konnte ich ihn überreden schlafen zu gehen, indem ich den Müllwagen zu ihm ins Bett legte.
»Und? Schläft er, oder musste er erst noch den Müll aus seinem Zimmer entsorgen?« Hannes reichte mir ein Glas Wein, als ich mich wieder zu ihm aufs Sofa setzte.
»Ich konnte ihn überzeugen, dass der Grüne Punkt erst Mittwoch abgeholt wird. Dann ist er friedlich eingeschlummert.«
Ich nahm einen Schluck von dem Wein und starrte zufrieden auf den Weihnachtsbaum mit den künstlichen Kerzen. Hannes blickte ebenfalls auf den Baum und fuhr mir dabei abwesend durch die Haare. Wir schwiegen eine Weile, aber inzwischen fand ich das Schweigen mit ihm nicht mehr unangenehm. Schließlich kuschelte ich mich an Hannes’ Schulter und sagte müde: »Es hat ihm wirklich gefallen.«
»Das sollte es auch. Immerhin habe ich stundenlang vor dem Regal gestanden. Ich hatte ja keine Ahnung, dass es inzwischen so viel Spielzeug gibt!«
Ich musste lachen. »Ja, ich weiß, zu deinen Zeiten gab es nur Holzmurmeln und Matchbox-Autos.« Hannes warf mir einen gespielt bösen Blick zu. »Aber das meinte ich nicht«, fuhr ich ernster fort. »Er fühlt sich wohl bei dir.«
Hannes lächelte mich an und zog mich an sich. »Und du?«
Ich gab ihm einen Kuss. Vor einem halben Jahr hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass ich mich nach Tim noch mal in jemanden verlieben könnte. Dass ich jemanden finden würde, mit dem ich es aushielt. Und der es mit mir aushielt. Aber
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