Seitenwechsel
Hannes war perfekt. Er mochte Kai. Er mochte mich. Er stellte keine Ansprüche. Er war einfach nur da. Und ich mochte es, wenn er da war. Doch, ich konnte die Frage voll und ganz mit Ja beantworten. Ich fühlte mich wohl bei ihm. Sehr wohl. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt. Auch mit Tim nicht. Zumindest nicht in den letzten Monaten vor Sarah. Und danach sowieso nicht. Aber das war vorbei. Heute, hier, mit Hannes fühlte ich mich wohl. Und was mich anging, hätte es so bleiben können. Aber die Umstände, das Schicksal, vielleicht aber auch nur meine Mutter, hatten etwas dagegen.
Kai zuliebe
Es fing, wie immer, wenn mich etwas vollkommen aus der Bahn warf, ganz harmlos an. Mit dem traditionellen Familienessen am zweiten Weihnachtstag bei meiner Mutter. Sie bestand darauf, egal wie zerstritten oder zerrüttet das Familiengefüge gerade war. Zu Weihnachten musste die Familie bei ihr antanzen, auch wenn sie durch diverse Trennungen, Umstrukturierungen und Neuzugänge unüberschaubarer wurde. Ich wusste, dass jede Form von Protest oder vorgeschobenem Absagegrund zwecklos war, denn seit Neuestem hatte meine Mutter ein neues Druckmittel und das hieß »Kai zuliebe«. So kam es, dass Hannes und ich zusammen mit Tim und Sarah Kai zuliebe unser erstes gemeinsames Weihnachten feierten. Wenigstens hatte meine Mutter die neuen Partnerkonstellationen bei der Platzzuweisung berücksichtigt, so dass mein Vater und sein neuer Freund auf der einen, und meine Mutter und Chris auf der anderen Seite als Puffer zwischen Tim und mir saßen. Das war auch bitter nötig, denn ich hätte mir lieber die Zunge abgebissen, als Tim um die Soße zu bitten. Hannes bemühte sich dagegen gekonnt um ein belangloses, aber trotzdem nicht zu oberflächliches Gespräch. Und Sarah, ja, Sarah schoss natürlich den Vogel ab, als sie nach dem auflockernden Aperitif noch vor dem Essen ihr Banjo auspackte und darauf tatsächlich ein paar Weihnachtslieder anstimmte, die durch das Instrument alle irgendwie einen durchaus interessanten Country-Stil bekamen. Natürlich musste sie so etwas Exotisches wie Banjo spielen, und nicht etwa Geige oder Blockflöte, so wie es sich für Musiklehrerinnen gehörte. Nein, mit ihrem Banjo spielte sie sich gleich in den Mittelpunkt der Familie und direkt in das Herz meiner Mutter. Sie hatte sich schon immer eine musikalische Tochter gewünscht.
Überhaupt war Sarah toll. Sie lachte gerne und mitreißend, hörte den Geschichten meiner Eltern und Hannes’ Anekdoten aus dem Journalistenalltag aufmerksam zu und konnte an den richtigen Stellen die richtigen Fragen stellen. Sie war vielleicht äußerlich mit ihrer kleinen, leicht moppeligen Figur und der blonden Kurzhaarfrisur nicht unbedingt Tims Typ, aber zu meiner Schande konnte ich allmählich nachvollziehen, was er an ihr fand. Sie war witzig, erfrischend und versuchte selbst mit mir ein freundliches Gespräch anzufangen, das ich im Keim erstickte.
»Ich stelle es mir schwer vor, als einzige Frau in einem rein männlichen Kollegium zu arbeiten.«
»Ja, aber es hilft ungemein, wenn man sich den Chef angeln will.«
Damit setzte ich sogar Sarah schachmatt, die sich doch für alles und jeden so unglaublich ehrlich interessierte. Zwischendurch ertappte ich meine Mutter sogar dabei, wie sie offenbar darüber nachdachte, ob Sarah nicht eigentlich die bessere Partnerin für Tim, Mutter für Kai und Tochter für sie wäre, wenn ich nicht schon zufällig ihre Tochter und daher nicht austauschbar gewesen wäre. Sarah schoss den Vogel ab, und ich begnügte mich damit, die zähe Ente zu vertilgen, die meine Mutter, schlechte Köchin die sie nun mal war, uns aufgetischt hatte. Ich bemühte mich überhaupt, den Tag möglichst konflikt- und Tim-frei über die Runden zu bringen. Aber genau dagegen hatte meine Mutter offensichtlich etwas einzuwenden. Als nach dem traditionellen Entenessen der traditionelle Verdauungsspaziergang anstand und ich schon glaubte, das Schlimmste überstanden zu haben, teilte meine Mutter Tim und mich zum Weihnachtsbaumschmücken ein. Schließlich sollte Kai zuliebe noch eine Bescherung stattfinden. Und dazu gehörte laut meiner Mutter nun mal ein geschmückter Weihnachtsbaum. Es war albern und reine Schikane, dafür kannte ich sie zu gut. Wer ließ seinen Baum bis zum zweiten Feiertag bitte schön ungeschmückt stehen, um dann die Tochter und ihren verfeindeten Exfreund zu bitten, ihn gemeinsam zu schmücken? Das musste sie doch aus irgendeinem
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