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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leipert Sabine
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sollte.
    »Überleg es dir«, flüsterte er mir leise zu. Dann zog er meinen Pantoffel aus der Besucherritze und drückte ihn mir in die Hand, bevor er in den Flur lief, um Kai und Sarah zu begrüßen. Ich starrte auf den Pantoffel und wollte gar nicht wissen, wie er zwischen die Matratzen geraten war.

Geheime Leidenschaften
    Keinen schien die spontane Änderung im Menüplan zu stören. Keinen außer mich. Die Bratkartoffeln waren das Ergebnis meiner Willenlosigkeit. Und die Tatsache, dass ausgerechnet Hannes sie mit großem Appetit verspeiste, schmälerte meine Schuldgefühle auch nicht gerade. Hannes lobte meine unerwarteten Kochkünste. Ich gab das Lob an Tim weiter und wagte dabei nicht, ihm in die Augen zu sehen, weil ich Angst hatte, jeder Blickwechsel könnte uns verraten. Es fiel offenbar keinem auf, dass ich weder die Bratkartoffeln noch sonst etwas auf meinem Teller anrührte. Tims Vorschlag von vorhin lag mir schwer im Magen, und zwar in erster Linie, weil ich ihn nicht sofort mit einem entschiedenen, lauten und entsetzten Nein zurückgewiesen hatte. Mein Zögern wurmte mich. Dass man im Eifer des Gefechts, der Enge der Küche und den sich plötzlich bietenden günstigen Umständen bedeutungslosen oder vielmehr nicht näher definierbaren Sex hatte, war eine Sache. Eine unschöne Sache, zugegeben. Aber es mit voller Absicht zu tun und sogar darauf hinzuarbeiten, das war ganz und gar … nicht mehr mein Ding. Das musste Tim doch am besten wissen. Also, warum machte er mir überhaupt so ein unmoralisches Angebot? War es ein Test oder eine Falle? Wollte er herausfinden, ob ich, als wir noch zusammen gewesen waren, auch wirklich treu geblieben war? Bestimmt nicht. Auf so eine um die Ecke gedachte Idee kam Tim gar nicht. Aber genauso wenig konnte er es ernst meinen. Oder? Ich warf ihm einen verstohlenen Blick zu, aber ihn schien das Ganze überhaupt nicht zu belasten. Er lachte und redete wie immer. Ich dagegen konnte kein Wort zur Unterhaltung am Tisch beitragen. Am liebsten hätte ich mich gleich nach dem Essen mit einer vorgetäuschten Migräne ins Bett zurückgezogen und die ganze Angelegenheit vergessen.
    Aber ausgerechnet heute hatte Hannes eine Überraschung für mich geplant, und es beunruhigte mich ein wenig, dass alle außer Tim und ich eingeweiht waren. Hannes machte ein großes Geheimnis aus seinem Vorhaben. Und als ich einen vielsagenden Blickwechsel zwischen ihm und Sarah mitbekam, hatte ich das Gefühl, die beiden hatten Tim und mich längst durchschaut und einen ausgeklügelten Racheplan entwickelt. Hannes blockte alle meine Fragen mit einem geübten Pokerface ab. Selbst als ich wissen wollte, was ich zu dem unbekannten Anlass anziehen sollte, erwiderte er nur »etwas Warmes«, und ich war mir nicht sicher, ob es metaphorisch gemeint war.
    Kurz darauf saß ich allein neben Hannes im Auto und war seiner Rache hilflos ausgeliefert, während er den Wagen in der Dunkelheit über die schmalen, gewundenen Straßen immer weiter vom Tal weg in die Berge lenkte. Ich sah abwechselnd vom Tacho auf die Straße und wieder auf den Tacho. Hannes fuhr nicht schnell, und die Straßen waren fast leer und gestreut, und sowieso hielt ich ihn nicht für einen dieser untröstlichen Mord-Selbstmord-Kandidaten. Aber sicher war sicher.
    Ich erkundigte mich nur halb im Spaß danach, ob er wieder zurückfinden würde, als er zum vierten Mal in eine noch engere Straße einbog. Und auch die Fragen nach den Wärmedecken, den Leuchtraketen und dem Lawinenpiepser waren durchaus ernst gemeint, angesichts der immer höher werdenden Schneemassen am Straßenrand. Hannes lachte kurz auf und blieb mir eine Antwort schuldig. Stattdessen sagte er plötzlich ernst: »Du hättest es mir sagen müssen, Karina.«
    Ich erstarrte. Also doch! Er wusste Bescheid, und seine Überraschung war keine von der angenehmen Sorte. Mir wurde siedend heiß. Ich hatte das Gefühl, in einen Abgrund zu stürzen. Aber woher wusste er es nur?
    »Ja, ich weiß«, stieß ich krächzend hervor.
    »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich diesen Urlaub doch nie gebucht.«
    »Nnnnein, nnnatürlich nnicht«, stammelte ich weiter.
    Er lächelte mich an und ich meinte durchaus etwas Irres, Jack-Nicholson-Ähnliches in seinem Blick zu entdecken, als er fortfuhr: »Aber … dafür kenne ich jetzt wenigstens deine geheime Leidenschaft.«
    Warum versteckte er sich hinter solchen Andeutungen? War das sein Versuch, mir ein umfassendes Geständnis zu entlocken? Eine makabre

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