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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leipert Sabine
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Foltermethode, um mich möglichst lange im Ungewissen zu halten?
    »Ähm, na ja, es ist nicht wirklich eine Leidenschaft …«, wandte ich zaghaft ein, aber Hannes ließ das nicht gelten.
    »Du hasst Schnee, du hasst Berge, du hasst Kälte. Was so ziemlich die drei Hauptkomponenten eines Winterurlaubs sind. Aber du liebst …«
    »Nein«, unterbrach ich ihn nervös, aber er beendete seinen Satz trotzdem, und zwar mit einem irritierten »Schlittschuhlaufen«.
    Das Wort gelangte erst nach einem langen Umweg über mein schlechtes Gewissen zu meinem Hirn. Hä?! Ich starrte ihn einen Moment lang reichlich benommen an, bevor ich ihm äußerst schwach zustimmte: »Äh, ja, schon irgendwie.«
    »Gott sei Dank. Tina scheint dich ja wirklich gut zu kennen.«
    »Ja, absolut, sogar besser als ich mich selbst«, überschlug ich mich plötzlich in der Anerkennung von Tinas umfassendem Wissen über mich, um gar nicht erst den Verdacht aufkommen zu lassen, ich hätte an eine andere Leidenschaft als das Schlittschuhlaufen gedacht, die ich bestimmt seit sechs Jahren nicht mehr ausgeübt hatte. Wie zum Teufel kam er aufs Schlittschuhlaufen?
    »Na, dann wird der Urlaub ja doch kein totaler Reinfall für dich.«
    Er hielt den Wagen mitten im Nirgendwo, soweit ich das in der Dunkelheit erkennen konnte. Aber auch wenn ich immer noch nicht wusste, wo er mit mir hin wollte, hatte ich nicht mehr ganz so stark das Gefühl, dass mein letztes Stündlein geschlagen hatte.
    Hannes holte zwei Paar Schlittschuhe aus dem Kofferraum. Dann schaltete er das Fernlicht an seinem Mietwagen ein. In den grellen Lichtkegeln der Scheinwerfer sah ich, dass wir nur wenige Meter von einem See entfernt standen, der zugefroren war. Mir verschlug es die Sprache. Hannes wollte tatsächlich mit mir Schlittschuh laufen. Nur er und ich nachts auf einem abgeschiedenen kleinen Bergsee. Ich war überwältigt von seiner Überraschung und gab ihm wortlos einen Kuss. Dann zog ich mir die Schlittschuhe an, die Hannes für mich ausgeliehen hatte.
    »Und du bist dir sicher, dass das Eis unser Gewicht aushält?«, fragte ich ängstlich, als wir Hand in Hand die ersten unsicheren Schritte darauf machten.
    »Keine Angst, es wurde heute Nachmittag noch von mindestens zwei Eishockeymannschaften getestet«, beruhigte er mich und fiel mit einem albernen »Uppsala« auf den Hintern. Ich wollte ihm aufhelfen und landete stattdessen genauso ungeschickt, aber dafür weicher, auf seinem Bauch.
    Wir rappelten uns kichernd wieder auf, stolperten ein paar Schritte vorwärts und fielen wieder hin, wobei nicht auszumachen war, wer wen mit sich zog. So arbeiteten wir uns Meter für Meter vor, bis wir vor Lachen nicht mehr aufstehen konnten.
    »Ehrlich gesagt, als mir heute Nachmittag die Idee gekommen war, hatte ich eine etwas romantischere Vorstellung von uns beiden auf dem Eis im Kopf.«
    »Du meinst, mehr Ginger Rogers und Fred Astaire als Dick und Doof?«, kicherte ich weiter.
    »Ja, so ungefähr.« Hannes gab ein gespieltes Stöhnen von sich. »Aber scheinbar bin ich jetzt offiziell zu alt hierfür.«
    Wir lachten wieder, und als wir uns beruhigt hatten, robbte ich auf dem Eis zu ihm und sagte mit belegter Stimme: »Das ist wirklich das Romantischste, was jemals jemand für mich getan hat.«
    Dann gab ich ihm einen Kuss, der immer länger wurde, bis Hannes völlig unromantisch darauf hinwies, dass er sich im wahrsten Sinne des Wortes den Arsch abfror.
    Hand in Hand wurden wir allmählich sicherer auf dem Eis. Wir drehten immer gekonnter unsere Runden, und irgendwann hatten wir uns die geschmeidigen Bewegungen von früher zurückerobert und näherten uns Hannes’ Vorstellung von Ginger Rogers und Fred Astaire zumindest an. Wir hätten noch Stunden weiterlaufen können, aber nach einem skeptischen Blick auf die schwächer werdenden Scheinwerfer am Auto mussten wir den Ausflug aufs Eis wohl oder übel beenden. Hannes hatte Sorge, dass der Wagen sonst nicht mehr ansprang. Ich hätte jetzt zwar auch ohne Wärmedecken und Leuchtraketen eine Nacht mit ihm im Wagen verbracht, aber nach einer Ehrenrunde im Dunkeln lief auch ich schließlich zum Ufer.
    Wir fuhren fast den ganzen Weg schweigend zurück, aber nur, weil keiner von uns die verzauberte Stimmung mit einer ungeeigneten Bemerkung zerstören wollte. Es war ein Moment zum Zeitanhalten. Ich fühlte mich erschöpft und geborgen, wie unter einer Daunendecke, abends im Bett kurz vorm Einschlafen, wenn man loslassen konnte, schon halb in der

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