SEK – ein Insiderbericht
großen Flipchart-Blättern notiert. Diese Daten werden durch einen Kollegen ständig aktualisiert. Allein mit dem Betreiben dieser SEK-Befehlsstelle sind derzeit mindestens zehn Beamte beschäftigt, und dies sind bei der Flut der von allen Seiten eingehenden Informationen beileibe nicht zu viel. Ich begrüße den mir gut bekannten Kommandoführer Andreas, der die Führung des gesamten SEK-Einsatzes innehat, und nicke auch den anderen in der Befehlsstelle tätigen Kollegen zu, sofern sie in ihrem Stress überhaupt Zeit haben zu registrieren, dass wir da sind.
»Hallo Peter, hallo Lars«, sagt Andreas in seinem für ihn typischen rheinischen Dialekt, »schön, dass ihr hier seid.«
Er schüttelt uns die Hand und beginnt mit Blick auf die Flipcharts sogleich mit einer kleinen Einweisung: »Soweit wir bisher wissen, haben wir es nur mit einem Täter zu tun, der heute etwa gegen 17:30 Uhr die Bankfiliale betreten hat. Wir gehen derzeit davon aus, dass der Täter bis zu 16 Personen in seiner Gewalt haben könnte, genau wissen wir das aber noch nicht. Er ist nach bisherigen Informationen mit zwei Faustfeuerwaffen und Handgranaten bewaffnet.«
Wir schauen uns alle an, denn das ist etwas Neues. Bei den bisherigen Geiselnahmen in der Bundesrepublik sind Handgranaten bislang nur einziges Mal eingesetzt worden: 1972 in München, bei dem Überfall auf die israelische Olympiamannschaft. Damals haben die palästinensischen Terroristen auf dem Militärflugplatz Fürstenfeldbruck einen Hubschrauber mitsamt ihren Geiseln durch eine Handgranate zur Explosion gebracht. Aber damals gab es noch keine Spezialeinheiten, sondern nur einfache Streifenbeamte, die kurzerhand zu Präzisionsschützen erklärt worden waren.
Jedenfalls sind die SEK-Erfahrungen mit Handgranaten, insbesondere über deren Wirkung in geschlossenen Räumen, denkbar gering. Nun ist es offensichtlich an uns, diesem Wissensmangel abhelfen zu müssen – und zwar leider, wie so häufig, bei einer realen Einsatzlage und nicht im Zuge einer Übung.
»Weiß man schon etwas über den Täter?«, frage ich nachdenklich. Ich befürchte, dass ein Geiselnehmer, der Handgranaten als Drohmittel einsetzt, militärisch geschult ist, was etwaige Zugriffschancen nicht gerade verbessert.
»Bisher noch nicht allzu viel, außer dass es sich offensichtlich um einen schon etwas älteren Mann handelt, der vorgibt, bei der Fremdenlegion gewesen zu sein und die ganze Situation relativ unaufgeregt handhabt. Und er spricht nicht selbst mit uns, sondern lässt immer eine der Geiseln, bisher den Filialleiter, über Telefon mit uns sprechen.«
Fremdenlegion? Wenn das stimmt, dann weiß der ganz bestimmt, wie man Handgranaten einsetzt, denke ich bei mir …
»Woher kennen wir denn die Art seiner Bewaffnung?«, fragt Lars.
»Das hat uns der Filialleiter am Telefon gesagt«, antwortet Andreas, »und er hat ausgerichtet, dass der Geiselnehmer die Handgranaten auch einsetzen würde, falls die Polizei Anstalten machen würde, die Bank zu stürmen. Er fordert bis Mitternacht einen Fluchtwagen, um sich abzusetzen, also das Übliche …«
Andreas muss nicht weiter ausholen, denn wenn es um Banken geht, sind die Forderungen der Geiselnehmer in etwa immer gleich. Und dazu gehört stets ein Fluchtfahrzeug, um sich dem Zugriff der Polizei entziehen zu können.
»Mehr habe ich leider im Augenblick noch nicht, wir sind ja noch ziemlich am Anfang«, erläutert Andreas weiter. »Der Polizeiführer ist nicht geneigt, den Täter vom Tatort wegfahren zu lassen, aber schriftlich haben wir das noch nicht.«
Auch das ist keine Überraschung, denn seit der Geiselnahme von Gladbeck im Jahre 1988, die nach tagelanger Verfolgung auf offener Autobahn blutig endete, scheuen sich Polizeiführer bei vergleichbaren Lagen, die Täter mit einem Fluchtwagen auszustatten und aus der relativen Sicherheit eines polizeilich kontrollierten Tatortbereichs herauszulassen. Es stellt sich nur die Frage, wie wir das verhindern sollen, wenn der Täter droht, andernfalls seine Handgranaten zu zünden … Aber so weit ist es ja zum Glück vorerst noch nicht. Es ist jetzt gerade mal 20:00 Uhr und wir haben bis zum Ablauf der vom Täter gesetzten Frist zum Glück noch vier Stunden Zeit, um uns etwas zu überlegen.
Andreas ergänzt weiter: »Wir haben alle jetzt notwendigen Positionen derzeit besetzt. Peter, ich möchte, dass du unsere Aufklärung unterstützt, um herauszufinden, wie und von wo wir möglicherweise einen Zugriff
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