SEK – ein Insiderbericht
inklusive, mit Ausrüstungsgegenständen und Waffen vollgepackt wird. Lars ist Präzisionsschütze und muss sein ihm persönlich zugewiesenes Präzisionsgewehr HK PSG1 in einem unhandlichen Holzkoffer unterbringen, welcher allein so gut wie die komplette Rückbank belegt. Meine Standardbewaffnung für derartige Fälle ist eine Maschinenpistole vom Typ HK MP5-SD, wobei das »SD« für schallgedämpft steht.
Dieser Waffentyp gehört nicht zur Standardausstattung, ist jedoch in gewisser Anzahl in jedem SEK vorhanden. In Kriminalfilmen wird immer wieder der Eindruck erweckt, als könne sich damit fast geräuschlos schießen lassen. In Wirklichkeit ist das ganz anders. Die Schussgeräusche meiner MP5-SD werden zwar gedämpft, sind aber auch bei geschlossenen Zimmertüren im ganzen Gebäude noch deutlich zu hören. Somit ist die Vorstellung eines quasi lautlosen Bekämpfens eines potenziellen Geiselnehmers, ohne dass in der Nähe befindliche Mittäter dies mitbekommen würden, eher filmische Fiktion denn Tatsache. Der Vorteil der schallgedämpften MP5 liegt jedoch in dem Umstand, dass das Schussgeräusch zwar nicht komplett unterdrückt wird, aber der Klang der Schussabgabe sich so verändert, dass das Geräusch nicht mehr einen typischen, unverwechselbaren Schussknall hat. Durch diese Geräuschdämpfung und -tarnung lässt sich aller Erfahrung nach bei den Geiseln der zusätzliche Stressanstieg begrenzen, wenn in ihrer unmittelbaren Nähe gefeuert wird. Und das ist von großer Bedeutung, um unkontrollierbare Panikreaktionen zu vermeiden, die ein großes zusätzliches Risiko bei einer Geiselbefreiung darstellen.
Genau aus diesem Grund habe ich mich auch für eine schallgedämpfte MP5 entschieden, auch wenn dieses Waffenmodell gegenüber der Ursprungsversion den Nachteil hat, dass die verwendete Munition von geringerer Wirkung ist. Der Knall eines Geschosses beruht zu einem großen Teil auf dem auch von Jetflugzeugen bekannten Überschallknall beim Durchbrechen der Schallmauer. Die Schallgeschwindigkeit von 343 Metern pro Sekunde wird von Geschossen in aller Regel weit übertroffen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Faustfeuerwaffen oder erst recht um Maschinenpistolen oder gar Gewehrgeschosse handelt. Die spezielle Munition der MP5-SD ist langsamer, bleibt knapp unterhalb der Schallgeschwindigkeit und schließt damit den Überschallknall aus. Auch wenn so eine Erwägung die meisten fachfremden meiner Leser befremden dürfte, will ich doch nicht unerwähnt lassen, dass natürlich die Geschwindigkeit eines Geschosses eine wesentliche Rolle bei der Energieabgabe im Ziel spielt. Im Klartext: Die Wirkung solcher schallgedämpften Munition zum Beispiel auf einen Geiselnehmer ist gegenüber der konventionellen (schnelleren) Variante gleichen Kalibers deutlich geringer. Vor allem auf kurze Distanz, etwa innerhalb eines Gebäudes, reicht das aber völlig aus, weshalb für mich die Vorteile der schallgedämpften Waffe deren Nachteile überwiegen.
Als wir schließlich unsere komplette Ausrüstung verladen haben, montieren wir ein Blaulicht an der Fahrerseite unseres Zivilfahrzeugs und rasen in Richtung Tatort los.
Nach ereignisloser Fahrt – zur Erinnerung: Wir befinden uns hier noch in der »Vor-Handy-Epoche«, was bedeutet, dass wir während der Fahrzeit zum Tatort von allen neuen Informationen abgeschnitten sind – treffen wir in einiger Entfernung zum Schauplatz der Geiselnahme auf die erste Polizeiabsperrung. Die uniformierten Kollegen dort erläutern mir kurz den weiteren Weg zur Befehlsstelle des SEK, dann nehmen sie auf der Zufahrtstraße die zu Absperrzwecken platzierten Lübecker Hüte zur Seite und lassen uns passieren. Die Befehlsstelle befindet sich in einem Schulgebäude in Sichtweite der Bankfiliale, in der sich das Geschehen abspielt. Alle am Tatort eintreffenden SEK-Kräfte, etwa nachalarmierte Kollegen wie Lars und ich, müssen sich zunächst bei der Befehlsstelle anmelden und werden von dort in die sich ergebenden Aufgaben und die aktuelle Lageentwicklung eingewiesen.
Als wir die Befehlsstelle in einem Klassenraum der Schule betreten, ist die besonders hektische Anfangsphase einer solchen Großlage längst überwunden. An den Wänden des Klassenraums hängen bereits Skizzen des Bankgebäudes mit entsprechenden Markierungen für die Ein- und Ausgänge sowie für die Fensterfronten. Für alle Anwesenden sichtbar sind auch die bislang bekannten Fakten über die Geiseln und den Geiselnehmer auf
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