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SEK – ein Insiderbericht

SEK – ein Insiderbericht

Titel: SEK – ein Insiderbericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schulz
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gegebenenfalls fatalen Folgen möglich. Da helfen auch unsere TIG-Helme nicht, durch die wir uns ja eindeutig von dem Täter unterscheiden. Immer mehr Kollegen des Notangriffsteams springen durch das Fenster in das Innere des Busses, und der vorderste nimmt mich mit seiner Maschinenpistole ins Visier und brüllt laut: »Polizei, nicht bewegen!« Vermutlich hat er Otto, der hinter mir steht, und den toten Täter zu meinen Füßen noch gar nicht registriert. Ich bewege mich tatsächlich nicht und rufe nur mit betont gleichgültig klingender Stimme: »Alles klar, Kollege, der Täter ist tot und liegt hier.«
    Offensichtlich registriert der Kollege meine Worte trotz des großen Stresses, in dem er sich befindet, denn die bedrohlich auf mich gerichtete Maschinenpistole senkt sich nun auf den am Boden liegenden Täter, und während die Mitglieder des Notangriffsteams sich langsam nach vorn zu Ottos und meiner Position vorarbeiten, blicke ich erneut auf den Toten, der eine sogenannte Geräteweste über seiner schwarzen Kleidung trägt. Aus den Taschen dieser Weste schauen rote, mit Kabeln versehene zylinderförmige Gegenstände heraus, die auf den ersten Blick wie Dynamitstangen aussehen. Wir erkennen, dass es sich dabei wohl um Holzattrappen handelt. Wir sehen ferner, dass der Täter überall in den Gepäcknetzen über den Köpfen der Passagiere ähnliche Zylinder verstaut und mit Kabeln untereinander verbunden hat. Eine perfekte Täuschung.
    Ich betätige den Sprechknopf meines Funkgeräts: »Hier Peter. Bus unter Kontrolle, Täter ex, Sprengstoff vermutlich Attrappe. Evakuierungskräfte und Entschärfer zum Bus.«
    »Verstanden, Kräfte sind unterwegs«, antwortet mir die Befehlsstelle.
    Die Evakuierung der völlig verängstigten Insassen des Busses erfolgt dann schnell und reibungslos, und auch die Entschärfer geben nach kurzem Blick auf den vom Täter verwendeten »Sprengstoff« Entwarnung. Es handelt sich hierbei tatsächlich um Attrappen. Ich gehe danach mit Otto noch einmal durch den leeren Bus – ein nunmehr verlassener sogenannter »Tatort«, den sich alsbald die Kollegen der Spurensicherung vorknöpfen werden. Im hinteren Bereich des Busses sehe ich den toten Körper einer Frau mittleren Alters zusammengesunken auf einer Sitzbank liegen: das letzte Opfer des Täters, nur zehn Minuten, bevor wir den Bus gestürmt haben. Natürlich bin ich froh und erleichtert, dass es vorbei ist, aber ich kann überhaupt nicht sagen, wie ich mich jetzt genau fühle. Als ich den toten Körper der Frau betrachte, weiß ich aber, dass es kein Gefühl des Erfolges ist …
    Was nun folgt, ist Routine. Alle am Einsatz beteiligten Kollegen müssen zu Untersuchungszwecken ihre Waffen abgeben. Dies ist notwendig, um festzustellen, wie genau der Täter ums Leben gekommen ist. Zu diesem Zweck versammeln wir uns alle in einem separaten Teil der Messehalle und übergeben den zuständigen Beamten der Kriminalpolizei unsere verwendeten Gewehre und unsere anderen mitgeführten Waffen. Hans und Wilhelm müssen dem Polizeiführer ausführlich Rede und Antwort stehen und ihn über den genauen Ablauf des Zugriffs in Kenntnis setzen, schließlich muss das Innenministerium en détail über den Ablauf des Einsatzes informiert werden, und nicht zuletzt verlangt auch die Presse eine erschöpfende Erklärung zu diesem spektakulären und folgenschweren Kriminalfall.
    Wir aber, die unmittelbar beteiligten SEK-Beamten, packen unser Einsatzequipment zusammen und fahren zurück zu unserer Dienststelle. Dort erfolgen natürlich umfangreiche Nachbesprechungen. Wir beleuchten noch einmal schonungslos Zug um Zug unseres Vorgehens, unsere Fehler und auch die Dinge, die gut gelaufen sind. Grobe Versäumnisse haben wir uns nicht vorzuwerfen. Letztlich kommen wir bei unseren Betrachtungen zu dem Schluss, dass durch unser Eingreifen 22 Menschen aus höchster Lebensgefahr gerettet wurden, und nicht, dass zwei Menschen ihr Leben verloren haben. Es hätten weitaus mehr sein können.
    * * *
    Das Motiv des Täters liegt bis heute im Dunkeln. Er stammte aus der ehemaligen Sowjetunion und war jüdischen Glaubens. Um was es ihm ging, ob er vielleicht durch die von ihm heraufbeschworenen Ereignisse nur seinen eigenen Tod provozieren wollte – wir werden es nie erfahren.
    Jedenfalls war dieser Einsatz einer der heikelsten und risikoreichsten in meiner an derartigen Situationen bestimmt nicht armen Laufbahn. Alle Kollegen, die den Bus in der damals bekannten Situation

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