Sekunde der Wahrheit
Startposition zwei.
Die andere ist Golden Ciaire auf Position drei, im Besitz der weltberühmten Calumet Farms.
Mit einer Quote von sieben zu eins geht ein munteres Vollblut ins Rennen, Bitter Alma auf Position vier.
Auf der Innenbahn in Position eins startet Martys Laugh, ein Pferd mit ausholenden Gängen und mit einer Quote von vier zu eins.
Auf der Außenbahn wird mit Nummer neun Lady Evelyn ins Rennen gehen, die mit sechs zu eins vorgewettet wurde.
Ebenfalls wie Bitter Alma bei sieben zu eins liegt Merry M'Liss aus Connecticut, für die die Position acht ausgelost wurde.
Dann folgt ein lebhaftes Discomädchen namens Sorry Sally, gezogen in Florida, die gute Chancen hat, mit dem Silberpokal und der Börse von fünfundneunzigtausend Dollar nach Hause zu galoppieren.
Auf Position sechs sehen wir dann eine viel versprechende Stute mit Quoten von zehn zu eins, Goodness Gracie, die gewinnen könnte, wenn sie den Kopf bei der Sache hält.
In der Mitte des Feldes startet auf Position fünf Silly Phyllis, auch in Florida gezogen, mit Außenseiterchancen und der hohen Quote von zweiundzwanzig zu eins. Aber da es ein Pferderennen ist, läßt sich der Ausgang nicht vorhersagen!
Doch will ich eines nicht verheimlichen: Für Miß Mariah spricht, daß sie heute von Wunderjockey Pepe Benitez geritten wird, einem der wenigen, der sich nicht nur das Geläuf persönlich ansieht, sondern auch die Morgenarbeit mit dem Pferd absolviert.
A propos Geläuf: Nach dem vielen Regen ist es tief. Und das heißt bei einer Sandbahn, daß die Pferde bei jedem Galoppsprung ein paar Zentimeter nach hinten gleiten. Doch nun brennt die Sonne hernieder, und Sie können sich selbst ausmalen, wie ein schnelles, hartes Geläuf morgen den Derbystartern gefallen wird.
Da haben Sie also das Feld für das Oaks. Vergessen Sie nicht zu setzen, denn meiner unmaßgeblichen Meinung nach kann jede der Stuten als erste durchs Ziel gehen. Möge Fortuna mit Ihnen sein, und riskieren Sie nicht Ihr letztes Hemd. Das werden Sie morgen beim Derby brauchen. Bis morgen dann, Freunde, gleiche Stelle, gleiche Welle.«
Auf dem Parkplatz an der Rennbahn kletterte sie unbeholfen aus dem BMW, denn der Gipsverband war doch recht hinderlich. Sie wollte zur Derbystallung, ging aber automatisch in die alte Richtung, bis Brigid sie daran erinnerte, daß die Pferde nach dem Brand umquartiert worden waren. Bei der Erwähnung des Feuers verzog Molly keine Miene. Sie wartete lediglich darauf, daß Brigid ihr den Weg zeigen würde.
Gregory McGreevey rauchte abwartend seine Pfeife und begrüßte das Mädchen ohne großes Theater. Dabei war Brigid sich bewußt, welche Gefühle ihn bewegten, hatte er doch mit großer Sorge verfolgt, wie das Pferd von Kräften kam, so daß sie sich nicht gewundert hatte, als er die Streichung vom Rennen empfahl, weil nur ein Wunder das Pferd bis zum nächsten Tag in Rennkondition würde versetzen können.
Molly ging schnurstracks in die Box, wo Irish Thrall lustlos mit matten Augen und hängendem Hals stand.
Bis er Molly sah, nein – er hatte sie noch nicht einmal gesehen, da hob er den Kopf, blähte erwartungsvoll die Nüstern, als habe er sie gerochen.
Kevin Hunter, der sie zweimal im Krankenhaus besucht hatte, klinkte einen Führzügel am Stallhalfter ein und reichte ihn Molly. Sie nahm ihn ernst entgegen und führte den grauen Hengst aus der Box. Mit wachsam aufgerichteten Ohren schritt das Pferd durch die Stallgasse, und als sie auf der Grasfläche angelangt waren, stupste er ihre bandagierte Schulter.
Sie wandte sich ihm zu und streichelte ihn erst an der Stirn und dann mit langen Bewegungen an Hals und Flanken. Er stieg übermütig, rollte sich halb im Gras, stieg noch einmal und tänzelte dann im Kreis um Molly herum, die ihm – nun lachend – ruhig zuredete, voller Zuneigung in der Stimme. Dann stand er still wie eine Statue, hob den edlen Kopf hoch und stieß ein leises freudiges Wiehern aus.
Er scharrte mit den Hufen, und als Brigid nun seine Augen sah, waren sie hellwach und lebhaft. Es war, als sei er in den wenigen Minuten lebendig geworden.
»Ich wußte es«, sagte Gregory McGreevey. »Es ist ein Wunder, aber es ist geschehen.«
Vergab Molly dem Pferd oder bat sie um Vergebung, als sie nun leise und zärtlich auf es einredete? Kevin Hunter sah mit einem verständnisvollen Lächeln zu.
»Armer Kevin«, sagte Brigid zu ihrem Trainer. »Es muß ihm das Herz brechen.«
»Ein gebrochenes Herz, was?« antwortete
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