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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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aus Verachtung und Wachsamkeit, wie ein zur Flucht bereites Reh.
    »Ich zumindest wünsche Starbright für Sonnabend das Beste.« Und nach einer kleinen Pause fügte Clay mit ausdrucksloser Miene hinzu: »Das Zweitbeste!«
    Erneut wandelte sich Kimberleys Verhalten. Mit schmalen Lippen und verkniffenen Augen sagte sie lässig bedauernd: »Es ist doch einfach traurig, Graf Wyatt, daß man zu solchen Vogelheinis partout nicht freundlich sein darf.«
    Mit unnachahmlicher Geste warf sie etwas metallisch Klapperndes auf den Tisch. Ohne einen weiteren Blick wandte sie sich ab und spazierte mit wiegenden Schritten auf die geschnitzte Tür zu, die zum Aufzug führte. Einige Leute drehten die Köpfe nach ihr um, eine königliche Erscheinung, wert, bewundert zu werden.
    »Als ich sie kannte«, meinte Clay Chalmers, »hätte sie einen Bereiter gefeuert, der ein vergleichbares Wort in den Mund genommen hätte.« Er starrte den Gegenstand an, den sie wie einen Fehdehandschuh hingeschleudert hatte: Ein Schlüssel mit hufeisenförmigem Anhänger, auf dem ihre Zimmernummer in Silber prangte.
    Nun, anscheinend reichte ihr ihre eigene Gesellschaft nicht immer aus. Mit einem Anflug des Bedauerns konstatierte Wyatt Slingerland, daß der Schlüssel nicht für ihn gedacht war. In was, zum Teufel, war er da hineingeraten?
    Eine tiefe, befehlsgewohnte Stimme riß ihn aus seinem Gedankengang. »Der allgegenwärtige Wyatt Slingerland. Hier also hält er Hof.« Mrs. Rachel Stoddard rutschte mit ihren hundert Kilo Lebendgewicht zu ihm auf die Bank und verfluchte die überall zu eng gebaute Nische. »Kein Wunder, wenn Ihre Artikel immer abenteuerlicher werden. Wyatt, Sie schlafen anscheinend nie.«
    »Bitte setzen Sie sich, Rachel«, bot Wyatt ihr etwas verwirrt an.
    »Danke für die verspätete Aufforderung«, erwiderte sie mit einem kehligen Lachen. Wyatt wußte, daß sie mindestens dreiundachtzig war, und wenn sie ein paar Gins intus hatte, wirkte sie noch beherrschender als sonst. Sie ließ das bodenlange Pelzcape – Zobel, nichts Geringeres – von den Schultern gleiten und schaute Clay forschend an. »Wir haben uns beim Dinner nicht kennen gelernt. Wyatt, tun Sie Ihre Pflicht, und machen Sie uns bekannt.«
    Wyatt bemerkte die spontane Sympathie, die Clay für die alte Dame verspürte – alle Turfanhänger und besonders die Presseleute liebten diese dicke, hässliche Matrone mit der Hakennase und dem weißen Haarschopf und besonders ihre herzliche, unverblümte Art. Wyatt wollte mit der Vorstellung beginnen, als ihn eine gebieterische Handbewegung von ihr unterbrach.
    »Ich weiß, wer er ist, und er weiß, wer ich bin.« Sie zog eine ihrer grauweißen Brauen leicht in die Höhe. »Hoffentlich lassen Sie sich nicht von diesem ungebildeten Schreiberling beeindrucken. A propos ungebildet: Ist Ihnen der Name Hotspur selbst eingefallen?«
    Clay versuchte noch, sie einzuordnen. »Hat Ancient Mariner ein funkelndes Auge?«
    Nun war ihr Interesse geweckt. »Woher kennen Sie sich so mit Literatur aus? Die meisten Hinterwäldler …«
    »Einige meiner besten Freunde sind Hinterwäldler, Mrs. Stoddard.« Er sagte es mit einem ansteckenden Lächeln. »Meine Mutter hat bei ihrem Tod eine vollständige Shakespeare-Ausgabe hinterlassen, einen Zitatenschatz und sonst nicht viel.«
    »Wann ist sie gestorben?«
    »Bei meiner Geburt. Das ›sonst nicht viel‹ bin ich.«
    Mrs. Rachel Stoddard, Herrin über Brookfield Farms, Connecticut, schüttelte sich vor Lachen. »Mein Mann, der mir alles beigebracht hat, was ich vom Turf verstehe, hat mich immer vor krassen Außenseitern gewarnt. Mein Trainer Crichton hat Ihren Hotspur gestoppt. Er gibt nichts auf die Angaben in ›Racing Form‹ oder der Journalisten«, mit einem Seitenblick auf Wyatt, »aber ich werde im Trail auf Ihren kleinen schwarzen Teufelskerl setzen.« Clay nahm den Schlüssel in seine schwielige, braune Hand.
    »Na, wenn Sie am Dienstag nicht mit ihm gewinnen, brauchen Sie für Ancient Mariner beim Derby keine Konkurrenz mehr zu fürchten«, kommentierte Wyatt.
    Clay stand auf, machte so etwas Ähnliches wie eine Verbeugung, murmelte gute Nacht und marschierte auf die Tür zu.
    »Der Cassius dort«, zitierte Rachel Stoddard, »hat einen hohlen Blick; er denkt zuviel: Die Leute sind gefährlich.«
    Wyatts Gedanken schweiften angenehm ziellos umher. »Rachel«, fragte er etwas unvermittelt, »glauben Sie an romantische Liebe?«
    »Ja, sonst wäre ich nicht hier.«
    »Ich dachte weniger an

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