Sekunde der Wahrheit
Chateaubriand für zwei Personen. Dann fragte er seine Begleiterin: ›Und was hättest du gern?‹«
Molly lachte herzhaft, und Brigid stimmte in die Fröhlichkeit ein.
Clay Chalmers war sich nicht schlüssig, ob dieser affektierte Wyatt Slingerland eine traurige oder eine komische Figur war. Spielte er lediglich die Rolle des Grafen mit seinem getrimmten Spitzbart, dem altmodischen Hemdkragen, der langen Zigarettenspitze, über die er seine Gesprächspartner mit wissenden Blicken verfolgte? Oder war er im Grunde genommen ein gegen das Altern ankämpfender Mann, der das mit seinem Aufzug und seinem Auftreten vertuschen wollte? Am Bildschirm und am Präsidiumstisch des Banketts gab er sich wohlwollend wie ein Schutzpatron. Aber jetzt am Tisch wirkte er herablassend und provozierend. Clay entschied, daß der Mann, wie so viele, einsam war. Er mochte ihn, und wie so oft bedauerte er fast die Verbundenheit, die er immer mit geplagten Kreaturen – Mensch wie Tier – empfand. Und die er dann so schwer ausdrücken konnte, weil ihn diese Schüchternheit überfiel. Am liebsten verkroch er sich dann.
Doch Wyatts Interesse an ihm war erloschen. Reglos verharrte er mit dem Glas in der Luft und starrte zu der Flügeltür hin. Er spitzte verzückt die Lippen. »Da kommt sie. Die Prinzessin dieses Meetings.«
Clay drehte sich nicht um.
»Sie kommt nicht herein, sie schreitet. Was für ein Auftritt. Als sei es eine Ehre für die Leute in diesem Raum. Für die ganze Stadt.«
Clay merkte, wie sich sein Nacken versteifte, aber er wandte den Kopf nicht.
»Na, Junge, da haben wir einen Vollblüter, der keine Nachhilfestunden in Selbstvertrauen braucht.«
Diesmal überfiel ihn das Gefühl nicht, diese grenzenlose innere Leere, die weichen Knie, das Ausgehöhltsein, wie jedes Mal, wenn er eine Frau mit ihrer Haltung gesehen hatte, mit ihrem typischen elastischen Gang.
»Andrew Cameron hat heute die schönsten Frauen in seinem Harem«, grunzte Wyatt neidvoll.
Seltsam. Sehr seltsam. Die erwarteten Empfindungen stellten sich nicht ein. Aber er hatte sie natürlich noch nicht gesehen. Es zog in seiner Brust, ja, und Luft bekam er auch keine, und seine Nervenenden prickelten. Aber der Teufel sollte ihn holen, wenn er sich umdrehte und sie anschaute. Nun hatte er sieben Jahre gewartet da kam es auf einen Augenblick auch nicht an, oder?
Sein neuer Freund Wyatt hatte nicht mehr die deutliche Aussprache wie anfangs, dafür aber schnurrte er fast wie ein Kater. »Eine kühle Dame. Sie trägt zwar die Stallfarben als Kleid – stehen ihr prächtig, keine Frage –, aber sie ist nie eine Pferdefrau geworden. Sie wissen schon, drahtig und ausgemergelt, mit einer Lederhaut, Schenkeln wie Stahl und diese kumpelhafte Kameraderie … Nicht Kimberley. Kühl ist sie wie eine Porzellanpuppe. Eine Eisprinzessin? Ein Mann hat da so seine Gedanken. Eher ein Vulkan mit Glut im Inneren. Und so heiß wie die Hölle, wenn er ausbricht.« Sollten diese Ausführungen für Clay gedacht sein – was er bezweifelte –, wollte er nicht darauf eingehen. Aber bereits beim Zuhören loderte es in ihm wieder auf. Wieder einmal.
Molly hatte heute wirklich Quasselwasser getrunken. Sie war nicht zu bremsen. »Ich arbeite ihn jeden Morgen. Ich weiß, wie er auf einer Sandbahn läuft. Und zwar besser als Mr. McGreevey!« Brigid wollte Andrew Cameron gerade erklären, daß ihr Trainer wie mit Engelszungen auf die Pferde einredete und sie ihn verstanden, für die Menschheit aber nur Gift und Galle übrig hatte – als sie merkte, daß jemand neben ihrem Tisch stehen geblieben war.
»Für mich keinen Julep. So tief bin ich noch nicht gesunken.« Die hübsche junge Frau sprach mit einer sanften, aber etwas unverschämt klingenden Stimme. »Aber einen Stinger darfst du mir bestellen, Andrew.«
Andrew Cameron stand auf und stellte seine Tochter Kimberley vor. Sie war schlank und besaß leicht mandelförmige Augen, die grün schimmerten. Ihre Gesichtszüge hatten ein klassisches Ebenmaß, umrahmt von glatt zurückgestrichenen, goldblonden Haaren. Ohne ein Lächeln ließ sie sich von ihrem Vater den Stuhl zurechtrücken und nahm Platz. Ihre Haltung und auch ihre Stimme drückten dabei Widersprüchlichkeit aus: Zögern und Überheblichkeit, Unsicherheit und Provokation, Höflichkeit und Abwehr. Brigid wunderte sich etwas, als Andrew die anderen miteinander bekannt machte.
»Ach ja«, sagte Kimberley. »Sie sind die Besitzerin von Irish Thrall. Ein bildschönes
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