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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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erledigt, rechtzeitig, wie man eben seine Arbeit macht, in die man seinen Stolz setzt.
    Zach, der nach dem Mittagessen alles rückwärts gegessen hatte, steckte sicher im Jockeyraum, in der Sauna oder beim Pokerspiel. Als er vorhin vom Stall 27 weggegangen war, hatte er gebrummt: »Vielleicht kann ich noch ein knappes Pfund vor dem Einwiegen scheißen.«
    Wieder die trockene Ansage aus dem Lautsprecher: eine Streichung im siebten Rennen, das in zehn Minuten starten sollte. Nummer 6, King Richard II. auf Anordnung der Rennleitung. Das war seltsam. Ein Pferd konnte eigentlich nur wegen tierärztlicher Bedenken so kurz vor dem Rennen zurückgezogen werden, falls es krank oder verletzt war. Sonst kam als Grund für die Streichung nur ein Dopingvergehen in Frage, das bei der routinemäßigen Urinuntersuchung vor dem Satteln entdeckt worden war. Aber das war King Richards II. Problem.
    Bernie Golden hatte ein anderes, nämlich, warum Clay nicht Hotspur gestrichen hatte, als es noch möglich gewesen wäre. Das war am Vormittag, nachdem ihm sein Bruder Owen in der Kantine das nötige Geld für den Derbystart angeboten hatte. »Mir ist erst klar geworden, wie du auf dem Zahnfleisch gehst, als ich heute morgen diesen Fatzke im Fernsehen gehört habe. Von mir kriegst du die Moneten, damit dein Bock im Derby starten kann, ohne sich heute zu verausgaben. Was kannst du von einem Bruder mehr erwarten?«
    »Nichts«, war Clays Antwort gewesen. »Aber ich lehne trotzdem dankend ab.«
    Owen Chalmers hatte aufgelacht und dann den Kopf geschüttelt. »Du änderst dich auch nicht mehr. Weißt du noch, was der alte Toby immer sagte, was vor den Fall kommt? Na schön, kleiner Bruder, sei hochmütig und riskier's. Ich möchte nur nicht, daß deinem Schaukelpferd etwas zustößt, ehe Fireaway es mit ihm aufnimmt.«
    Beifallsgebrüll schallte von den Haupttribünen herüber, die Pferde für das siebte Rennen waren auf die Bahn gekommen. Bald begann das achte.
    Auf dem Rückweg von der Kantine hatte Clay sich erkundigt: »Was liegt dir in deinem feisten Magen, mein feinfühliger Freund Bernie?«
    »Ich kann schon verstehen, daß du von deinem Bruder keine Moneten annehmen willst. Aber warum musstest du diesem Lackaffen von angeblichem Graf vom Fernsehen auf die Nase binden, daß du klamm bist? Scheiße, niemand hat es gewußt. Warum kannst du nicht einmal wie jeder normale Mensch lügen?«
    Daraufhin hatte Clay nur gegrinst. Und Bernie hatte geschimpft: »Jesus!«
    »So brauchst du mich nicht zu nennen, wenn wir allein sind«, hatte Clay gewitzelt.
    Clay, dieser Bastard, wie konnte ihn das so kalt lassen? dachte Bernie. Aber so war er immer am Renntag, während er sich die Fingernägel vor Aufregung fast abkaute.
    Er hörte die Stimme des Bahnsprechers. Die Pferde näherten sich den Startboxen. Der Lärm der Menge hatte sich verändert, wie immer kurz vor einem Rennen, er war geringer geworden, klang weniger ausgelassen, gespannter.
    Molly war dort drüben auf der Tribüne in einer Loge. Sie war nach hinten gekommen, und er hätte sie fast nicht erkannt. Sie hatte ein weich fließendes, blaßblaues Kleid angehabt, und da war ihm aufgegangen, daß er sie überhaupt noch nie in einem Kleid gesehen hatte. Noch dazu in so einem! Und ihr schwarzes Haar steckte nicht in Pferdeschwänzen geflochten unter der Sturzkappe, sondern sie trug es locker und offen. Sie war überwältigend, diese Molly Muldoon – schon dieser Name!
    »Wenn ihr gewinnt, kommst du mit den Siegern in den Führring?«
    Darauf seine Entgegnung mit trockenem Mund: »Nicht wenn – sondern weil.«
    Da hatten ihre Augen noch heller gefunkelt: »Selig sind die Kleingläubigen«, hatte sie gesagt und zum ersten Mal ihre Wange an seine gelegt und ihm dann einen Kuß auf den Mund gegeben. Ohne einen Blick zurück war sie entschwunden, so daß er zu träumen meinte. Und bald war sie für immer verschwunden, nach dem Samstag, aber daran wollte er nicht denken.
    Er hörte den Aufschrei der Zuschauer und das Klingen der Glocke und stand auf, wie alle anderen auf der Tribüne. Alle warteten gespannt auf das Feld auf der Gegengerade.
    Dann donnerte das auseinander gezogene Feld vorbei. An der Innenseite lieferten sich zwei Pferde ein erbittertes Kopf- an Kopf-Rennen. Mit fünf Längen bereits eindeutig abgeschlagen, folgte ein traurig aussehender Gaul, den der Jockey mit der Peitsche bearbeitete. Alles schrie, und zwei Bereiterinnen fielen sich um den Hals. Bernie beschloß, nach Hotspur zu

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