Sekundentod: Kriminalroman (German Edition)
bestätigte sich nach diversen Untersuchungen. Seither war seine Mutter ein Pflegefall und ihr Zustand glich dem einer stark Demenzkranken. Meistens erkannte sie Falko, wenn er sie besuchte. Doch es gab auch schlechtere Tage. An seinen Vater und seine Schwester hingegen konnte sie sich stets erinnern, überhaupt schien sie einen Großteil dessen, was sich zu der glücklicheren Zeit in ihrem Leben zugetragen hatte, zu erinnern.
Falko versetzte es einen Stich, daran zurückzudenken.
Er parkte seinen Wagen auf einem der freien Parkplätze vor der Pflegeeinrichtung. Es war kurz nach drei. Vielleicht würde seine Mutter gerade ihren Nachmittagskaffee trinken. Er ertappte sich bei dem Gedanken, dies als Anlass zu nehmen, wieder zu fahren, um sie nicht dabei zu stören. Er atmete tief durch. Nein, er würde sich nicht drücken. Kurz schloss er seine Augen, zählte sich herunter. Mit jedem Atemzug gewann er neue Kraft. Als er sich bereit fühlte, stieß er mit Schwung die Autotür auf und stieg aus.
Im Eingangsbereich kam ihm eine Pflegerin entgegen. »Hallo, Herr Cornelsen. Ihre Mutter ist im Wintergarten. Ich komme gerade von dort. Sie hat einen guten Tag heute.«
»Das freut mich.« Er bemühte sich um ein Lächeln, nickte ihr zu und schlug den Weg zu dem im Erdgeschoss gelegenen Anbau ein.
Seine Mutter saß im Rollstuhl und hatte ein aufgeschlagenes Buch vor sich auf dem Tisch liegen. Beim Näherkommen sah er, dass es falsch herum lag. Mit ihr im Wintergarten saßen zwei weitere betagte Frauen. Das Gespräch verstummte, als er eintrat.
»Guten Tag, die Damen.« Er setzte ein gewinnendes Lächeln auf.
»Oh, was für ein hübscher junger Mann. Wie schön, dass Sie uns besuchen kommen.« Die Frau, die Falko schon öfter gesehen, aber stets nur kurz mit ihr gesprochen hatte, strahlte ihn an. »Setzen Sie sich zu mir«, bat sie.
»Das ist mein Sohn und er kommt zu mir«, gab Falkos Mutter energisch zurück.
Falko war überrascht. Selten hatte er erlebt, dass sie ihn auf der Stelle erkannte. Meistens musste er ihrem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge helfen. Er warf der anderen Frau einen bedauernden Blick zu, ging zu seiner Mutter hinüber, beugte sich herab und umarmte sie. Dann gab er ihr einen Kuss auf die Stirn. »Hallo, Mama. Wie geht es dir?«
»Sehr gut. Ich lese gerade dieses Buch. Es ist sehr interessant. Es handelt vom alten Ägypten.«
Falko blickte kurz auf den Tisch. Es war ein Kinderbuch mit Malereien, Darstellungen von Bäumen und Tieren. »Und, was hast du in letzter Zeit so gemacht?«
»Aber, Falko, du warst doch erst gestern hier. Was soll ich in der kurzen Zeit schon gemacht haben.«
Er streichelte ihr über den Arm. »Da hast du recht, Mama.« Der Gedanke, dass sie nicht mitbekam, wie lange er sie in Wahrheit nicht besucht hatte, beruhigte ihn. »Übrigens habe ich gestern mit Heike über unsere alte Hütte gesprochen. Erinnerst du dich daran?«
»Heike? Welche Heike?«
»Meine Frau, Mama. Ihr Name ist Heike.«
Sie lachte auf. »Aber, Junge, du bist doch noch nicht verheiratet. In deinem Alter, also wirklich. Du veralberst mich.« Sie schüttelte tadelnd den Kopf.
»Und? Erinnerst du dich an die Hütte?«
»Aber natürlich. Wir waren doch letzte Woche erst dort.«
»Sag mal, Mama, wo liegt denn die Hütte? Ich weiß es nicht mehr genau.«
»Also wirklich, Falko! Du kannst da nicht allein hin. Das ist viel zu weit draußen. Ich werde deinen Vater bitten, dass er mit dir hinfährt.«
Falko bemühte sich um ein Lächeln. »Gibt es eigentlich Unterlagen zu der Hütte?«
»Hm, das weiß ich gar nicht. Frag am besten deinen Vater. Er kümmert sich um so etwas. Aber warum willst du das eigentlich alles wissen? Du hast doch wohl nicht vor, mit deinen Freunden eine Party dort zu feiern?« Eine tiefe Falte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen. »Falko, das möchte ich nicht.«
»Ist gut, Mama. Ich werde keine Party feiern.«
Sie tätschelte seine Hand. »Du bist ein guter Junge.«
Auf dem Flur hörte man Geschirrklappern. Im nächsten Moment kam eine Pflegerin herein. Sie nickte Falko kurz zu. »Kaffeezeit. Möchten Sie ihn hier trinken oder in Ihren Zimmern?«
»Falko, es gibt Kaffee und Kuchen. Wo bleibt deine Schwester nur?«
Er musste schlucken. »Sie kommt später, Mama. Und ich muss auch los. Lass es dir schmecken.«
»Aber dein Kuchen, Junge.«
Er stand auf und gab ihr abermals einen Kuss auf die Stirn. »Ich habe keinen Hunger. Mach’s gut, Mama.«
»Aber komm nicht so
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