Sekundentod: Kriminalroman (German Edition)
Abermals krümmte sie sich in einer Wehe. In diesem Augenblick war Kerstin klar, was sie zu tun hatte. Rasch trat sie zu der Frau und hockte sich neben sie auf den Boden.
»Er würde die anderen hier töten«, raunte sie ihr zu, setzte sich halb hinter sie und drückte ihr gegen den Rücken, um ihr mehr Halt zu geben. Es dauerte noch eine Weile, bis der Entführer mit mehreren Decken und drei Kissen zurückkam. Kerstin vergewisserte sich, dass die Frau sich selbst halten konnte, und stand rasch auf.
»Danke«, sagte sie devot. Schnell legte Kerstin zwei Decken flach auf den Boden und bedeutete der anderen Frau, sich hinzulegen. Eine weitere Decke legte sie ihr fürsorglich um die Schultern und stapelte die Kissen in ihren Rücken. Die Erleichterung, die ihr dieser kleine Komfort verschaffte, war der Schwangeren deutlich anzusehen.
»Könntest du noch das Wasser und die Lappen holen?« Kerstin zögerte, ob sie den nächsten Gedanken aussprechen sollte. Doch was hatte sie schon noch zu verlieren. »Und könntest du die Frau in der anderen Zelle bitten, uns zu helfen? Jemand muss sich hinter sie setzen und ihr den Rücken stützen. Oder würdest du selbst helfen?«
Wieder flackerten seine Augen in alle Richtungen, rollten umher. Er erwiderte nichts, ging nur schweigend davon. Sie hörte, wie eine Zellentür geöffnet wurde, und im nächsten Moment kam die ebenfalls schwangere und nackte Frau, der Kerstin vorhin zugenickt hatte, zu ihnen herüber. »Setz dich hinter sie und stütz ihr den Rücken«, forderte Kerstin sie sofort auf, und die Frau tat ohne ein Wort, was von ihr verlangt wurde.
»Ich bin Kerstin.« Es war nicht mehr als ein Flüstern.
»Nicole«, gab die andere leise zurück.
»Sabine«, presste die dritte hervor. »Bitte helft mir, dass mein Kind nicht stirbt.« Tränen liefen ihre Wangen herab.
Kerstin sah, wie Nicole am ganzen Körper zitterte, während sie Sabine den Rücken stützte. Ihr Blick fiel auf die übrigen Decken, die ihr Peiniger auf die Pritsche gelegt hatte. Sie stand auf, holte sie und gab eine davon Nicole. »Häng dir die über die Schultern. Dann wird es besser.« Eine weitere nahm sie sich selbst, die dritte und letzte legte sie über Sabines Körper.
»Hat eine von euch medizinische Kenntnisse?«
Beide schüttelten den Kopf. In diesem Augenblick betrat der Entführer mit einem Eimer Wasser und mehreren Geschirrtüchern die Zelle.
»Warmes Wasser haben wir hier nicht. Ihr müsst kaltes nehmen.«
Kerstin nickte ihm zu.
Eine gewaltige Wehe ließ Sabine zusammenfahren und qualvoll aufschreien.
»Hör auf zu brüllen!«, forderte er und machte einen Schritt auf sie zu.
»Das kann sie nicht«, sagte Kerstin so ruhig es ihr möglich war. »Du kannst gehen und die Zelle abschließen. Wir werden uns um sie kümmern.«
»Ich habe noch nicht entschieden, dass sie Mutter sein darf«, stellte er mit dem trotzigen Unterton eines Kindes klar.
»Das Kind wird jetzt geboren werden. Danach wirst du entscheiden.«
»Rühr mein Kind an, und ich schwöre dir, ich bring dich um«, presste Sabine unter einer Wehe hervor.
Sofort machte er einen Satz nach vorn und ohrfeigte sie, dass ihr das Blut aus dem Mundwinkel lief. Nicole schrie auf. Wutschnaubend blieb er vor Sabine stehen und funkelte sie an.
Kerstin ballte die Fäuste. »Halt deinen Mund«, brüllte sie Sabine an. »Er hat recht. Er entscheidet, ob du es verdienst, Mutter zu sein. Er allein.« Ihre Finger zitterten, als sie fast zärtlich über seine Hand strich. »Sie hat es verstanden. Doch jetzt müssen wir uns um das Kind kümmern. Du kannst inzwischen darüber nachdenken.«
Noch immer wütend, blickte er auf Sabine, machte aber schließlich einen Schritt zurück. Die Gebärende ließ sich zurücksinken, und Nicole musste erhebliche Kraft aufbringen, um sie halten zu können.
Die Wehen wurden stärker. In immer kürzeren Abständen krampfte Sabines Leib. Kerstin griff rasch nach einem Geschirrtuch, tunkte es in den Wassereimer und wischte sich die Finger ab. Dann hockte sie sich vor Sabine. »Du bist schon ein ziemliches Stück weit geöffnet. Es kann nicht mehr lange dauern. Du schaffst das.« Sie versuchte, ihrer Stimme einen sicheren Klang zu geben, konnte jedoch weder das Zittern noch das ängstliche Beben vermeiden. Sie hörte nur, wie die Zellentür hinter ihrem Rücken geschlossen wurde und seine Schritte in die andere Richtung verschwanden.
»Du darfst ihn nicht reizen«, flüsterte Kerstin eindringlich. »Wir
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