Sekundentod: Kriminalroman (German Edition)
zu. War vertieft in ihre Arbeit. Saß am Laptop, schrieb Notizen. Wahrscheinlich für ein neues Buch. Draußen hatte nur ein Fahrzeug gestanden. Ihr Auto. Wenn sie einen Partner hatte, war er nicht da. Sie war allein.
Immer mehr spürte Falko, wie er selbst zum Täter wurde, sich seine Mutmaßungen mit den Gedanken des Täters deckten.
Ich gehe von hinten auf sie zu. Ich muss sie überwältigen, bevor sie schreit. Nein, stopp! Das muss ich nicht. Selbst wenn sie schreit wie am Spieß, wird sie niemand hören. Ich spreche sie an. Wie reagiert sie? Wie reagiert die Frau, die in ihren Büchern grausamste Verbrechen detailverliebt beschreibt? Wird sie panisch? Springt sie auf? Versucht sie, mir entgegenzutreten?
Nein. Die Handgelenke wiesen keine Abwehrspuren auf. Gut. Ich schleiche mich also von hinten an. Ich halte etwas in der Hand, um sie sofort am Stuhl zu fixieren. Wie mache ich es? Schlage ich sie nieder? Ich schlage ihr gegen den Hinterkopf. So lenke ich sie ab. Sie greift erschrocken mit den Händen an die Stelle, wo ich sie mit einem Gegenstand getroffen habe. Womit?
Falko sah die Tatortfotos durch. Er entdeckte nichts, was als Gegenstand verwendet und auf den Boden geworfen worden war. Und auf dem Sideboard? Nichts, was ihm geeignet erschienen wäre. Wo hatte der Täter den Gegenstand her? Wenn es sich um eine Gelegenheitswaffe handelte, also einen Gegenstand, den er im Haus fand, könnte er aus der Küche gewesen sein. Das war der erste Raum rechts, wenn man das Haus betrat. Aber nein. Er war durch das Schlafzimmer eingedrungen. Was gab es dort, das er hätte verwenden können? Doch wenn er von vornherein gewillt war, einen Mord zu begehen, würde er sich nicht eher mit einem Messer bewaffnet haben?
Falko schloss kurz die Augen, ging gedanklich einen Schritt zurück, atmete zweimal tief ein und aus, zählte sich weiter herunter. Dann öffnete er die Augen, griff nach seinem Notizbuch und schrieb CHCL 3 hinein, strich es jedoch sofort wieder durch. Im Bericht der Gerichtsmedizinerin hatte er nichts von Chloroformspuren oder eines vergleichbaren Sedativums im Körper Rebecca Ganters gelesen. Das konnte es also nicht sein. Falko verwarf den Gedanken. Der Täter muss sich einfach angeschlichen haben, unbemerkt hinter sein Opfer getreten sein, es überwältigt und an den Stuhl gefesselt haben. Vielleicht hatte sie ja Ohropax in den Ohren – warum auch immer in dieser Abgeschiedenheit hier draußen –, die der Täter dann genommen und ihr in die Nase geschoben hat. Dann fiel sein Blick auf … Falko zögerte, sah auf die Einrichtung in seinem Modell. Ja, sein Blick fiel auf die Manuskriptseiten. Er nahm sie sich und las darin. Moment! Erneut griff er nach den Tatortfotos. Ein Stapel des Manuskripts lag links auf dem Schreibtisch, ein anderer rechts. Hinzu kamen die Blätter, die auf dem Boden lagen. Dazwischen war ein freier Platz. Der Laptop! Der linke Stapel war ordentlich, beim rechten glich es eher einem Wust von Unterlagen. Und noch etwas fiel Falko auf. Die Seiten auf dem linken Stapel lagen mit der Schrift nach oben, während die auf dem rechten Stapel mit der Schrift nach unten lagen. Ganz so, als habe sie gelesen und die jeweils fertigen Seiten rechts abgelegt. Warum hatte sie das bei ihrem Manuskript getan, das sich längst fertig im Verlag befand? Noch einmal schloss Falko die Augen und konzentrierte sich ganz auf den Täter. Er lächelte, als er die Augen wieder öffnete, weil er nun glaubte, die Antwort auf seine Frage zu kennen. Nicht das Opfer hatte die Manuskriptseiten gelesen, sondern der Täter. Denn der Täter hatte wissen wollen, wie die Opfer in Rebecca Ganters Roman starben, um die Autorin auf die gleiche Art sterben zu lassen. »Du wolltest Rebecca Ganter also genauso leiden lassen«, raunte Falko Cornelsen leise. »Du wolltest sie bestrafen. Wofür?« Er knipste das Licht aus und verließ nachdenklich den Keller.
Trotz des wenigen Schlafs war Falko einer der Ersten im Präsidium. Er brannte darauf, seine Erkenntnisse zu überprüfen, die er am gestrigen Abend gewonnen hatte.
»Morgen, Falko!« Timo Breitenbach betrat nach einem kurzen Klopfen sein Büro und nahm auf einem der Stühle vor dem Schreibtisch Platz. »Der Langer hält sich für einen ganz Gewitzten.«
»Er ist also abgehauen?«
»Das auch. Und wahrscheinlich wird er die Kollegen bemerkt haben. Sie sind ihm bis zum Bahnhof gefolgt. Nach kurzer Zeit kam eine Meldung der Zentrale durch, dass jemand Hilfeschreie auf
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