Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
traumatisiert und in seinen Gefühlen verletzt worden sei. Sie hätten immer sein Selbstwertgefühl untergraben, ihm zu wenig Beachtung geschenkt, ihm nie genug Wärme und Urvertrauen geben können. Und auch von seinen Geschwistern sei er traumatisiert worden – er habe letztlich zu viele davon gehabt und sei der Jüngste gewesen. Bei so vielen Geschwistern bleibe immer einer übrig. Und das wäre eben er gewesen. Die anderen hätten ihn immer wieder »sekkiert«, ihn also regelrecht gemobbt, und ihn mit seinen Gefühlen nicht annehmen können. Er sei der unterste in der Hackordnung gewesen, das habe er mit seiner Analytikerin recht genau erarbeitet. Dass man da eine Sozialphobie bekomme, sei ja kein Wunder.
Helmut S. habe im Laufe der Analyse den Kontakt mit den Geschwistern vollkommen abgebrochen, weil sie ihre Schuld auch nach ausführlicher Erklärung seinerseits nicht hätten einsehen können. »Da bleibt einem nichts anderes übrig – bei so viel Sturheit. Ein weiterer Kontakt hätte mir nicht gutgetan.« Die Therapeutin habe gemeint, dass er dadurch noch heute von seinen Geschwistern traumatisiert werde – und retraumatisiert, und das sei noch schlimmer. Allerdings gehe es ihm seit der Trennung auch nicht besser. Letztlich sei er auch von seinen Großeltern mütterlicherseits traumatisiert worden, die in der Nähe der Ursprungsfamilie lebten. Die hätten ihm nie etwas zugetraut und ihm die Wärme nicht geben können, die so ein Enkelkind brauche. Im Wahrnehmen von Bedürfnissen seien die nie gut gewesen. Solche Ängste, die so in der Kindheit verursacht würden, die bekomme man natürlich in seinem Alter nicht mehr in den Griff. Er gehe nur mehr ganz selten aus dem Haus. Seine Frau und er könnten wegen seiner Krankheit keine Besuche empfangen.
ANALYSE: Helmut S. ist durch Fremdbeschuldigung und Selbstmitleid derart gefangen, dass er seit 40 Jahren dieselben Symptome spazieren trägt. Der Psychiater meldet ihm rück, dass er ihn als unversöhnt und verbittert erlebe. Der Mann ist erstaunt: Das habe er in sieben Jahren Analyse noch nie gehört! Die beiden arbeiten in den nächsten Wochen daran, den Kontakt mit den Geschwistern wiederaufzunehmen und eine Versöhnung anzupeilen. Die Sozialphobie ging merklich zurück.
Die menschliche Schwäche
Heiko Ernst beschrieb die Neigung des Menschen zu den »sieben Todsünden«, die nebenbei bemerkt in der Theologie »Hauptsünden« oder »Wurzelsünden« genannt werden. Die Neigung selbst ist nicht frei gewählt, also als solche und ohne Realisierung (»in Gedanken, Worten und Werken«) auch nicht schuldhaft. Zur Erinnerung: Wir sprechen von Neid, Zorn, Trägheit, Wollust, Hochmut, Völlerei und Habsucht. Sie sind aufeinander bezogen und miteinander verwoben. Sie potenzieren sich. Aus ihnen quellen, wie Ernst feststellt, andere Verhaltensweisen hervor, die auch nicht gerade sympathisch sind: »Lügen, betrügen, intrigieren, heucheln, quälen, stehlen, morden …« Jede dieser sieben menschlichen Schwächen reduziert die ohnehin nicht sehr große Freiheit des Menschen zusätzlich. Die Brauchbarkeit dieses Katalogs, den Heiko Ernst für die Psychowelt aus der Versenkung geholt hat, ist offensichtlich.
Nicht jeder Mensch neigt zu den gleichen Defekten. Jeder hat seine eigenen Schwächen und Fehler. Sicherlich haben diese sowohl mit den Temperamenten als auch mit der Erziehung zu tun. Der Sanguiniker neigt wahrscheinlich weniger zu Neid, dafür zu Völlerei und Wollust. Der Choleriker ist weniger träge als zornig. Dem Melancholiker hingegen sind Neid und Habsucht näher. Schließlich neigt der Phlegmatiker zur Trägheit, doch ist ihm Zorn fremd.
Auch die Erziehung spielt eine Rolle: Man kann sicherlich Neid lernen beziehungsweise anerzogen bekommen. Ebenso Wollust. Die heutigen »Sünder« sind beim augenzwinkernden Heiko Ernst übrigens keine tragischen Gestalten mehr, die ihren Leidenschaften und Lastern verfallen sind und für die Dante infernalische Strafen ersann. »Sie treten heute als Light-Version der Sünde in Erscheinung, als Konsumdeppen und Schnäppchenjäger, als Neidhammel, als Choleriker und Streitsüchtige, als Puffgänger und Pornokonsumenten, als fettsüchtige XXL-Fresser (›horizontal Herausgeforderte‹), als Couch-Potatoes oder als sonnenstudiogebräunte Selbstdarsteller. « Was alle diese Figuren gemeinsam haben, ist die Blockade im Ist-Zustand. Sie können nicht raus. Möglich machen das Selbstbetrug und ein Mangel an kritischer
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