Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
Selbsterkenntnis.
Wohlgemerkt: Die bloße Neigung zu der einen oder anderen »Todsünde« ist durch Gene und Umwelt bestimmt. Der Neidhammel sucht sich seine Schwäche ebenso wenig aus wie der Fettsüchtige oder der Konsumdepp. Ob man allerdings dieser Neigung nachgibt oder nicht, ist das Thema des nächsten Kapitels. Der Psychoanalytiker Albert Görres meint, es gebe sehr wohl eine Willensschwäche, die außerhalb der Verantwortung stehe. »Es ist aber auch möglich, dass der Wille seine eigene Schwäche, sei sie vorgeblich oder wirklich, bejaht und von den ihm an sich zugänglichen Motiven, die ihm Kraft geben würden, wegsieht.« Man muss auch wollen wollen! Jeder Psychiater kann ein Lied davon singen, dass die meisten Menschen ein Leben lang gegen dieselben Fehler ankämpfen müssen. Entscheidend ist nicht, ob der Mensch schon wieder in die gleiche Grube fiel, sondern wie ernsthaft er entschlossen und bemüht ist, morgen nicht hineinzufallen. Ob er also resigniert vor der eigenen Schwäche (»eh schon wurscht«) oder ob er gegen die ihm vertraute Neigung ankämpft.
Eine besondere Form der menschlichen Willensschwäche ist die Sucht. Die österreichische Popgruppe »Erste Allgemeine Verunsicherung« (EAV) hat dieser eine psychologische Studie in Form des Lieds »Morgen« gewidmet, die hier Würdigung verdient – quasi eine »Hymne der gebrochenen Vorsätze«:
»Ich wach auf am Nachmittag,
der Sodbrand ist enorm.
Ja, gestern war ich wieder gut in Form!
Im Gaumen sitzt der Belzebub, das Aug ist dunkelrot,
die Hypophyse spielt das Lied vom Tod!
Während ich mich übergeb,
schwör ich mir ferngesteuert:
Sofern den Tag ich überleb, es wird nie mehr gefeiert!
Refrain: Weil morgen, ja morgen,
fang ich ein neues Leben an!
Und wenn net morgen, dann übermorgen
oder zumindest irgendwann
fang ich wieder ein neues Leben an!
Doch wie ich um die Eck’n kumm,
seh ich mein Stammlokal
und wieder hab ich keine and’re Wahl.
Der Franz, der Jo, der Ferdinand san a scho wieder do.
Ja, was macht denn schon ein Achterl oder zwo!
Beim fünften Achterl quält mich noch
der Gewissensbiss.
Doch was soll’s, wenn dieser Tag sowieso
verschissen is!
Refrain: Doch morgen, ja morgen,
fang ich ein neues Leben an!
Und wenn net morgen, dann übermorgen
oder zumindest irgendwann
fang ich wieder ein neues Leben an!
ZUSAMMENFASSUNG: Da der Mensch ein leibliches Wesen ist, ist er in vielem begrenzt, gefangen und unfrei. Gene, Umwelt, Triebe, Temperament, Traumata, Augenfarbe, Geschlecht, Eltern und Muttersprache suchen wir uns nicht aus. Auch die bloße Neigung zu sozial unerwünschten Eigenschaften (bei Heiko Ernst die »Todsünden«) sind vorgegeben. Irgendwie ist es ja auch sympathisch, wie schwach der Mensch ist.
5. Kapitel
Die Neurobiologie der Freiheit
Richard York auf der Couch
I n der wissenschaftlichen Diskussion, die im vorigen Kapitel skizziert wurde, gibt es zwei extreme Standpunkte, die im Laufe der Geschichte immer wieder – teilweise mit Vehemenz – vertreten wurden. So sagen die einen, der Mensch sei ganz frei, er müsse nur richtig wollen. Die anderen wiederum meinen, wir seien determiniert und in unseren Neuronen gefangen, und jede Freiheit sei Trug. Nach all den in Kapitel 4 aufgezählten wissenschaftlichen Fakten zur Unfreiheit des menschlichen Handelns durch Gene und Umwelteinflüsse müssen wir uns nun ernsthaft fragen, ob der Mensch auf seine eigenen Lebensvorgaben noch einen gewissen Einfluss hat. In der Praxis zeigt sich zweierlei: Die Selbsterkenntnis des eigenen Temperaments ist tatsächlich »der beste Weg zur Besserung«. Überdies können wir uns mit zunehmendem Alter immer mehr selbst aussuchen, wer und was uns wie beeinflusst. William Shakespeare hat in seinem Drama »Richard III.« die freie Entscheidung eines Menschen skizziert, böse zu sein. Also das zu tun, was sein eigenes Gewissen als böse beurteilt.
Richard Yorks Entscheidung
Richard, Herzog von Gloucester, ist gemeinsam mit seiner Familie, dem Hause York, gegen das Haus Lancaster im intriganten und grausamen »Rosenkrieg« um den englischen Thron verstrickt. York und Lancaster sind übrigens Zweige des Hauses Plantagenet, die konkurrierenden Familien sind obendrein verwandt. 19-jährig avanciert Richard zum Helden seines Clans, weil er König Heinrich IV. und dessen Sohn, Kronprinz Edward aus dem Hause Lancaster, in einer der Bürgerkriegsschlachten umbringt. Richards zehn Jahre älterer Bruder besteigt
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