Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
angelegt sind.
FALL 23: Der 21-jährige Peter Paul R. jun. kommt mit einer leichten depressiven Verstimmung in die Praxis. Er werde von seinem Vater, Peter Paul R. sen., überhaupt nicht bemerkt, und das belaste ihn. Das Verhältnis sei sehr kühl. Vater und Sohn würden nur über Belanglosigkeiten kommunizieren können. Der Sohn könne leisten, was er wolle, es werde vom Vater nicht wertgeschätzt. Er sei überhaupt noch nie gelobt worden, zumindest sei ihm das nicht erinnerlich. Sein Vater lebe recht zurückgezogen, die Mutter übernehme für ihn die privaten Außenkontakte. Beruflich sei der Vater großartig, aber über Gefühle reden könne er nicht. Das sei einmal anders gewesen. Der Vater sei mit 21 Jahren ein bekanntes Fußballtalent gewesen und sehr beliebt. Er wisse aber nicht, was dann passiert sei.
Im Rahmen der Therapie entdeckt Peter Paul R. jun. ein echtes Interesse für seinen Vater, das darüber hinausgeht, von ihm gelobt werden zu müssen. Er beschließt, den Vater auf die Zeit anzusprechen, in der dieser so alt war wie er jetzt. Überraschenderweise zeigt sich der Vater überaus gesprächig und eröffnet dem Sohn sein Herz. Tatsächlich habe er in Österreich als großes Fußballtalent gegolten. Doch dann sei ein Trainerwechsel gekommen. Der neue Trainer habe ihn nicht leiden können und hinausgemobbt. In seinem Frust habe Peter Paul R. sen. zu trinken begonnen. Wegen dieses Alkoholismus habe er die Kindheit des Sohnes versäumt.
Peter Paul R. jun. kommt von Mal zu Mal aufgeregter in die Therapiestunden. Vater und Sohn reden plötzlich! Beim genauen Nachfragen findet er heraus, dass sein Großvater seinen Vater niemals gelobt habe und auch nie auf den Fußballplatz gekommen sei, um ihn anzufeuern. Gemeinsam finden Vater und Sohn schließlich heraus, dass der neue Trainer den Vater eigentlich bloß auf eine andere Position gesetzt hatte, was dieser jedoch in seinen jugendlichen Starallüren verweigert hatte. »Ich war jung und dumm!«, erkennt der Vater endlich und schließt innerlich Frieden mit dem Trainer. Die Beziehung von Vater und Sohn blüht auf und wird zu einer guten Männerfreundschaft.
ANALYSE: Der Vater blockiert sich emotional, indem er lange Jahre dem Trainer die Schuld für seine gescheiterte Fußballerkarriere in die Schuhe schiebt. Der Sohn, der unter der emotionalen Blockade des Vaters leidet, kann durch sein Interesse am Leben des Vaters die Blockade lösen. Der Vater erkennt: Er hätte sich auch ins Team einordnen und gehorchen können, er war damals gar kein Opfer. Einordnen wäre ein Akt der Freiheit gewesen, seine jugendlichen Starallüren hätten schon gedämpft werden müssen.
Der Psychologe Martin Seligman von der Universität von Pennsylvania stößt ins selbe Horn. Er hat in den vergangenen Jahren die Positive Psychologie entwickelt. In seinem Buch »Der Glücks-Faktor. Warum Optimisten länger leben« fasst er sein Programm zusammen: »Gemütszustände zu behandeln, die das Leben unglücklich machen, hat die Aufgabe in den Hintergrund gedrängt, Gemütszustände auf- und auszubauen, die das Leben lebenswert machen.« Was aus seiner Sicht den Menschen glücklich macht, sind – wie bei Aristoteles – die Tugenden. Seligman hat nach eigenen Angaben aus hundert menschlichen Kulturen sechs »Stärken & Tugenden« herausdestilliert, mit deren Hilfe der Mensch sein Leben lebenswert machen kann: (1) Weisheit und Wissen, (2) Mut, (3) Liebe und Humanität, (4) Gerechtigkeit, (5) Mäßigung und (6) Spiritualität und Transzendenz. Dies hat erstaunlich viel gemeinsam mit den klassischen vier Kardinaltugenden bei Aristoteles und den drei göttlichen Tugenden. Je tugendhafter der Mensch, desto freier ist er. Seligman erklärt übrigens im Vorwort dieses Bestsellers – ähnlich wie Heiko Ernst – fast entschuldigend, eigentlich Agnostiker zu sein. Vermutlich hatten manche Kollegen versucht, ihn zur Kirchenmaus zu reduzieren, um sich nicht mit seinen revolutionären Thesen beschäftigen zu müssen.
FALL 24: In einer Familientherapie hat der Psychiater mit einer etwa 40-jährigen, geschiedenen Frau zu tun, die regelmäßig heftig mit der 60-jährigen neuen Gattin (ebenfalls geschieden) ihres 70-jährigen Vaters (auch geschieden) zusammenkracht. Der arme Mann steht zwischen den zwei Frauen, wird von beiden Seiten mit Vorwürfen überschüttet und regelrecht aufgerieben. »Siehst du, wie deine Tochter mich behandelt? Und du tust nichts! Mir hätte mein Vater die Türe gewiesen,
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