Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
Entdecker des Bereitschaftspotenzials, die mit ihrer Entdeckung in den 60er Jahren die Diskussion um die Freiheit des Menschen in der Neurowissenschaft erst ausgelöst haben, legten 2009 in diesem Buch ein Plädoyer für die Freiheit des menschlichen Willens ab. In gut dokumentierter Weise fassen sie die Forschungsergebnisse der vergangenen 40 Jahre zusammen und sehen den großen Gegner der Freiheit in dem Deterministen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Sigmund Freud: »Verwirrt vom Freudismus hat man heute gewöhnlich keinen klaren Begriff vom Willen mehr, allenfalls einen falschen, der mit Trieb, Sturheit, Arroganz oder gar Gewalt assoziiert ist, dies ist ein subhumaner Begriff. Wille ist vernünftige Selbstführung des Menschen, ist Denken und Verhalten aus der Persönlichkeit, vor allem ihrem Kern, dem Selbst, und aus verantwortlicher Verbindung mit anderen Menschen, denn der Mensch ist ein Kulturwesen. Er ist trotz biologischer Zugehörigkeit zur Tierwelt ein einzigartiges Wesen, mit Kreativität, mit Langzeitplanung, mit langfristiger Verantwortung, zu innovativer Problemlösung fähig, er ist Schöpfer der Kulturen.«
Wie normal die Freiheit des menschlichen Willes ist, sieht man, wenn sie nicht mehr da ist. Der medizinische Begriff »Abulie« bezeichnet die Willenlosigkeit als Krankheit. Ein historisch-literarisches Beispiel dafür bietet der französische König Ludwig XVI., wie er meisterhaft in Stefan Zweigs Roman »Marie Antoinette« dargestellt ist – als Beispiel für einen krankhaft phlegmatischen Menschen, der nicht wollen konnte und damit nicht nur seine Königskrone, sondern letztlich auch sein Leben verlor. Den gesunden Willen eines Menschen kann man schon sehr früh in der Kindheit spüren – junge Mütter können ein Lied davon singen, wie viel Wille in acht Kilogramm Kind stecken kann.
Ordnung im Leben
Die Freiheitspotenziale des Menschen werden durch die Tugenden aktualisiert. Anders formuliert: Die Tugenden machen es möglich, dass aus Möglichkeiten auch Wirklichkeiten werden, dass aus Potenzial tatsächlich Realität wird. Der Mensch ist potenziell frei und durch die Tugenden wird er dann auch tatsächlich frei. Dabei haben die Forschungsergebnisse von Robert Cloninger ergeben, dass der Tugend der Ordnung eine besondere Bedeutung zukommt. Das kann aus psychotherapeutischer Sicht bestätigt werden: Der Ordnung kommt tatsächlich eine Schlüsselfunktion im menschlichen Leben zu. Das Prinzip der dreifachen Ordnung – in sich selbst, in Beziehung mit den anderen und im transzendenten Kontext – ist nicht nur in der Neurogenetik, sondern auch in der Psychotherapie präsent. Allerdings wird es oft nicht so genannt. Viele Patienten suchen beim Therapeuten Hilfe, um die Dinge in ihrem Leben wieder in den Griff zu bekommen, zu ordnen. Viele erleben sich selbst in großer Unordnung: Man verliert den Überblick, kann Prioritäten nicht mehr richtig setzen. Manche pumpen etwa massiv Liebe in die »Übernächsten«, lassen aber den eigenen Mann oder die eigene Frau links liegen. Das ist eine Störung der Prioritätensetzung. Wenn eine Mutter – wie im Kapitel 2 geschildert – den Sohn mehr liebt als den eigenen Mann, dann spielt sie ihn gegen den Mann aus, zieht ihn dem Mann vor. In der Folge entwickelt sich häufig eine Aggression des Vaters gegen den Sohn, des Sohnes gegen den Vater, also eine große Unordnung im Gefüge der ganzen Familie (siehe Fall 25). Ursache von so vielen Konflikten zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter ist, dass der Mann seine Mutter mehr liebt als die eigene Frau. Die meisten Menschen wissen, dass man die eigene Frau mehr lieben sollte als die Mutter, den Ehepartner mehr als die Kinder. Wo da Verschiebungen stattfinden, erfährt der Mensch das als Unordnung.
Es gibt so etwas wie einen Instinkt für die menschlichen Grundgegebenheiten, für das, was dem Menschen gemäß ist. Tief in ihrem Inneren haben die Menschen ein Gespür für das, was sie sind und was passt. Aber das wird oft von Gefühlen überlagert, die in die andere Richtung ziehen. Wer von der Mutter gefühlsmäßig abhängig ist, sieht das Problem nicht mehr klar. Aber das Prinzip, dass man seine Frau mehr lieben soll als die Mutter, erkennt jeder an, sobald er etwas Abstand nehmen kann.
Die erwähnten Prioritäten in der Liebe sind ein unausgesprochenes Allgemeingut der Psychotherapie. Wenn jemand etwa eines seiner Kinder den anderen vorzieht, wird das als ungerecht angesehen. Wenn man
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