Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
besonders die mittlere Tochter Teresa. Frau D. selber arbeite halbtags als Krankenschwester und habe ab und zu auch Nachtdienste, und dann würde er es besonders schlimm treiben. Die kleine Teresa solidarisiere sich zunehmend mit der Mutter und fotografiere ihren Vater schon im betrunkenen Zustand, um die Mutter zu informieren. Frau D. sei das sehr unangenehm, sie hätte sich die Ehe immer anders vorgestellt. Wenn sie ihn auf seinen Alkoholkonsum anspreche, reagiere er aggressiv und laut. Entweder leugne er, ein Alkoholproblem zu haben, oder er gebe ihr die Schuld an seinem Alkoholismus, weil sie seit der Hochzeit überhaupt nicht mehr so fröhlich und lustig und entgegenkommend sei, wie er sie kennengelernt habe. Wenn sie nicht sofort das Thema wechsle, drohe er mit Scheidung. Das komme aber für sie gar nicht in Frage – und das wisse er.
ANALYSE: Herr D. zeigt das typische Muster von Realitätsverweigerung und unkritischer Fremdbeschuldigung nach dem Motto »Angriff ist die beste Verteidigung«.
Der Alkoholiker ist wahrscheinlich sehr unfrei, wenn eine geöffnete Weinflasche vor seiner Nase steht. Aber er kann entscheiden, nicht mehr ins Wirtshaus zu gehen, mit seinen Saufkumpanen zu brechen, jeden Alkohol aus dem Haushalt zu verbannen und sich mit seiner Frau zu versöhnen. Der Ehebrecher ist nicht frei, solange er seine Konkubine dreimal pro Woche trifft. Aber er kann doch bei einem Dritten Hilfe in Anspruch nehmen und der ungewollten Leidenschaft großräumig ausweichen. Der Pornosüchtige ist unfrei, solange er mit seinem Internet unkontrolliert alleine ist. Aber wenn er wirklich will, kann er heraus, indem er den Bildschirm so aufstellt, dass Dritte jederzeit Einsicht haben – etwa die Ehefrau und die Kinder. Er kann einen Pornofilter installieren und seine Ehebeziehung sanieren. Es geht, aber man muss erstens wollen, zweitens seine Schwäche kennen und drittens bereit sein, auf die (vielleicht äußerlich völlig harmlosen) Versuchungen zu verzichten. Die Freiheit besteht darin, großräumig der Versuchung auszuweichen, nicht, diese nicht mehr zu verspüren. Starke Menschen sind nicht die, die keine Schwächen haben (die gibt es nicht), sondern die, die sie kennen und sich entsprechend ihren Schwächen verhalten: Gelegenheiten meiden.
Unsere Bauchgefühle sind dann gut, wenn die Handlungen, zu denen sie uns drängen, gut sind. Und schlecht, wenn das Gegenteil der Fall ist. Die Unterscheidung zwischen Gut und Böse erfahren wir nicht beim Psychotherapeuten, sondern in unserem Gewissen, in unserem Herzen. Heiko Ernst meint, das Konzept der Todsünden beinhalte, unsere Fähigkeit zum Bösen anzuerkennen und Verantwortung zu übernehmen. Wir sind auch heute nicht automatisch »entschuldigt«, nur weil wir eine wissenschaftliche Erklärung für unser Verhalten haben. Wir sind nicht schuldlos, wenn wir unseren Zorn ungezügelt ausleben, unserem Neid oder unserer Trägheit nachgeben, unseren Hochmut pflegen. »Wir sündigen nicht, weil uns irgendwelche gesellschaftlichen Verhältnisse dazu zwingen oder weil wir in einer dysfunktionalen Familie aufgewachsen sind oder weil unser Temperament uns eben so handeln lässt – wir überschreiten Grenzen, die wir sehr wohl erkennen können. Wer die Schuld für seine schlechten Taten nicht anerkennen will, kann auch die guten nicht für sich reklamieren.«
Die Neigung zu Neid, Zorn, Trägheit, Wollust, Hochmut, Völlerei und Habsucht ist durch Gene und Umwelt determiniert, aber was man daraus macht, das ist die Entscheidung jedes Einzelnen. Denn auch wenn man in der Früh müde ist, kann man trotzdem aufstehen. Man kann zum Fressen veranlagt sein und trotzdem sein Gewicht halten, man kann die »Alkoholikergene« haben und trotzdem nicht saufen. Das Wort »trotzdem« drückt dabei schön die Freiheit des Menschen aus, der seiner unpraktischen und kontraproduktiven Neigung »trotzt«.
Neid, Zorn, Trägheit, Wollust, Hochmut, Völlerei und Habsucht bilden nun jeweils mit der Künkelschen Ichhaftigkeit ein explosives Gemisch und können zum völligen Kontrollverlust führen. Ich erinnere mich noch gut an einen Kollegen, der seine Neidgefühle nicht in den Griff bekam und sich letztlich damit seine Karriere ruinierte. Andererseits können diese sieben wilden Pferde durch die Seligmanschen Stärken und die Tugenden gezähmt und halbwegs in den Griff gebracht werden.
Das sogenannte Böse im Menschen
Kommen wir zurück zu Richard III. aus dem Hause York. Er hatte
Weitere Kostenlose Bücher