Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
Widersprüchliches, sich gegenseitig ausschließende Ziele: er will Schokolade und Bikinifigur.
Bei der Patientin neigt sich schließlich durch die Therapie das Herz dem Kopf zu. Vorerst werden zwar statt der Schokolade große Mengen an Diätpudding verzehrt, aber erst als der Kopf das Ausweichmanöver vorschlägt, zur Essenszeit außer Haus zu sein, kommt der Zeiger der Waage wieder in Bewegung.
Der Bauch kann eigene Schuld prinzipiell nicht eingestehen. Das muss er aber auch nicht. Dafür ist er gar nicht gemacht. Er interessiert sich nur für seine Bedürfnisse: Lustgewinn und Unlustvermeidung. Und Schulderkenntnis ist eben nicht lustvoll. Oft kommen Patienten in die Praxis, die sich ausschließlich über ihre Bedürfnisse definieren und rund um sie orientieren. Da ist der Bauch im Zentrum, hat den Kopf in seinen Dienst genommen, weil das Herz es sich leichtmacht. Da das limbische System eng mit dem räumlich benachbarten Frontalhirn verbunden ist, benutzt der Bauch nämlich den Kopf, um die Schuld intellektuell wegzuschieben. Der Bauch ist so intelligent wie der Mensch, darum hat er perfide gute Argumente, die letztlich pseudologisch sind. Der Kopf kann die Schuld sehen, wenn das Herz die Bereitschaft aufbringt, Schuld für möglich zu halten, auch wenn die Selbsterkenntnis Unlust bedeutet.
Das unterschätzte Herz
Das Herz allein erlaubt innerlich die Möglichkeit des Schuldigwerdens und der Fehlerhaftigkeit, dann erst kann der Verstand auf die Suche nach den eigenen Defekten gehen. Das führt zur Bereitschaft, sich so zu sehen, wie man in Wirklichkeit ist. Das Herz kann aber auch die Devise ausgeben, dass es keine Fehler gibt. Dann wird die Vernunft gehorchen. Friedrich Nietzsche beschrieb das meisterhaft: »Das habe ich getan, sagt das Gedächtnis. Das kann ich nicht getan haben, sagt der Stolz. Bis das Gedächtnis nachgibt.« Das trifft den Kern. Das Gedächtnis ist eine Funktion des Kopfes, der Stolz aber ist im Herzen. Das allzu menschliche Phänomen, »dass nicht sein kann, was nicht sein darf«, ist niemandem fremd und bedarf keiner langwieriger Erklärungen.
Nur das Herz allein macht menschliche Treue möglich – das ist eine Haltung, die dem Lustgewinn und der Unlustvermeidung immer wieder heftig im Wege steht. Bei der Hochzeit verspricht man sich Treue »in guten und in bösen Tagen«, und damit ist schon gesagt, dass es sich um die Herzenstreue handelt. Von einem Menschen, der auch gegen seinen eigenen Egoismus entscheiden kann, sagt man darum, er habe das Herz am rechten Fleck. Es ist das Herz, mit dem man liebt – und mit dem man übrigens auch betet. Mit dem Bauch hingegen begehrt man, das kann in der Liebe hilfreich oder störend sein. Mit dem Herzen kann man sich aus Liebe selbstlos hingeben, aber auch um des Geliebten willen verzichten und sich zurückziehen. Letzteres ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sich das Herz und nicht der Bauch zu Wort meldet. Denn der Bauch schaut nur auf die eigenen Bedürfnisse, der Bauch kennt kein Du. Das Herz ist damit letztlich das Beziehungsorgan. Es entscheidet zwischen Tun und Unterlassen, zwischen Gut und Böse, zwischen eng- und großherzig, zwischen Hingabe an den anderen und Ausnützen des anderen, zwischen schmerzhafter Treue und lustvoller Untreue.
Der schöne Satz »Ich liebe dich« wird auf Spanisch als »te quero« formuliert, was auch als »Ich will dich« übersetzt werden kann. Hier kommt die Willentlichkeit des Herzens stärker durch, aber das Ganze hat naturgemäß auch eine sehr emotionale Note. Die Emotionalität kann zwischen Menschen zum großen gegenseitigen Geschenk werden. Aber während das Herz zu Recht von der Liebe sprechen kann, müsste der Bauch alleine ehrlicherweise eher »Ich begehre dich« sagen. Das ist nicht schlecht, aber allein zu wenig, wie die traurigen Konsumenten von Pornographie überdeutlich beweisen. Das Herz ist also vergeistigter, vermenschlichter Bauch. Es veredelt die Bauchgefühle auf eine geistige und damit menschliche Ebene, ist ihnen aber nicht notwendigerweise ausgeliefert, sondern kann sich im Notfall auch gegen sie entscheiden. Der Ehemann, der sich trotz eines lockenden Angebots der attraktiven Arbeitskollegin für die eheliche Treue entscheidet, ist ein lebender Beweis für einen Handlungsspielraum trotz gegenläufiger Bauchgefühle.
Von einem Kollegen habe ich ein ähnliches Bild gehört, das er in der Therapie erfolgreich anwendet: Es ist das Bild von einem Boot. Wer im Boot sitzt, hat ein
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