Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
Ziel. Das Ziel wird vom Willen definiert. Die Emotionen sind das Wetter: mal Sonnenschein, mal Gewitter, mitunter Hagel, mal schrecklich heiß, mal angenehm kühl, dann sogar bedrohlich kalt. Der Wind kommt einmal von dieser, dann von der anderen Richtung: Gegenwind, Rückenwind, einmal hilfreich, einmal kontraproduktiv. Wenn man sich nur vom Wetter treiben lässt, kommt man nie an. Die Vernunft hat die Aufgabe, die Situation, die Mittel und das Wetter richtig einzuschätzen: Bin ich noch auf dem richtigen Weg? Ist das derzeitige Wetter eine Bedrohung für meinen Weg? Hält das Boot? Reicht der Vorrat?
FALL 36: Der 40-jährige Dr. Gotthard S. ist ein erfolgreicher Politiker. Er sucht den Psychiater diskret wegen einer peinlichen Sache auf: Seine Frau hat ihn des Ehebruchs überführt. Und zwar mehrfach. Jetzt ist definitiv Feuer unterm Dach. Er sei verheiratet mit einer zehn Jahre jüngeren Ärztin, die ihm zwei prachtvolle Söhne geschenkt habe. In der Kleinstadt, in der sie leben, würden sie als Vorzeigefamilie gelten. Durch seinen Erfolg und ihre Mitgift könne man sie durchaus als recht wohlhabend einstufen. Er sei bis vor kurzem in seiner Ehe sehr glücklich und immer treu gewesen. Im vergangenen Jahr habe im Rahmen eines Ausschusses eine engere Zusammenarbeit mit einer eher unbeliebten Kollegin der Gegenpartei begonnen. Sie sei im Stadtsenat gefürchtet wegen ihrer scharfen Zunge und ihres verbitterten Pessimismus. Sie sei zweimal geschieden, fünf Jahre älter als er, und ihre aktuelle Ehe habe damals schon beträchtlich gewackelt. Schiefe Zähne und eine etwas in die Breite gegangene Figur würden ihr Äußeres beeinträchtigten. Beruflich ging es in dieser Zeit nicht gut voran, das Leben war frustrierend, einzig sein »Erfolg« bei der Gegenpartei gab ihm immer wieder einen kleinen Trost. Er lud sie und ihren Mann (den er gar nicht leiden mochte) zu sich nach Hause ein, und seine Frau zauberte ein phantastisches Abendessen. Die Zeit verging, die Beziehung wurde enger und vertraulicher, das Du wurde angeboten. Erste Gerüchte machten die Runde. Die amüsierten die beiden nur. Bis tief in die Nacht erarbeitete man in seinem oder ihrem Büro Strategien und Lösungen. Eines Nachts passierte es plötzlich. Er wisse auch nicht mehr, wieso. Mit einem Schlag war eine prickelnde Erotik zwischen ihnen da, der er sich nicht entziehen konnte. Er wusste, dass er sein glückliches Leben aufs Spiel setzte. Er wusste, dass er der anderen Ehe den Todesstoß geben würde. Er konnte aber nicht widerstehen. Nein, sie hatte es nicht darauf angelegt, ihn nicht wirklich verführt, das sei einfach schicksalhaft passiert. Tief zerknirscht und doch beglückt fuhr er nach dieser Nacht nach Hause und bemerkte, wie sehr er ein Fremder im eigenen Haus geworden war. Er wusste: was er getan hatte, war absoluter Wahnsinn. Aber er konnte nicht anders. Er sprach mit niemandem darüber, und die Affäre ging weiter. Seine Frau fragte eines Tages nach. Er leugnete. Sie gab sich damit zufrieden. Dr. S. wurde immer fahriger und nervöser. Er versuchte immer mehr, seiner Frau auszuweichen, kam immer später nach Hause.
Irgendwann las sie eine eindeutige SMS und stellte ihn zur Rede. Er gestand und gelobte Besserung. Nur müsse er halt weiter beruflich mit dieser Frau zusammenarbeiten. Heftige Streitigkeiten waren die Folge. Letztlich akzeptierte die Frau zähneknirschend einen beruflichen Kontakt. Dr. S. versuchte ernsthaft, ausschließlich beruflich mit der Kollegin zu korrespondieren. Sie aber spottete über seine neue Zurückhaltung und zeigte sehr offen weiter Bereitschaft. Eine Weile hielt er durch. Bis er von der Scheidung seiner Geliebten erfuhr. Da wusste er, dass etwas Irreversibles passiert war. Die Affäre flammte wieder auf. Diesmal löschte er alle SMS sofort nach Erhalt. Doch seine Frau spürte die Gefahr und heuerte einen Detektiv an, der wenig später eindeutige Materialien vorlegen konnte.
Die Ehefrau stellte ihn vor die Wahl: entweder völliger Bruch mit dieser Person oder Scheidung. Er vertraute sich einem Freund an. Der riet ihm, von der Kollegin abzulassen, da das ohnehin keine Zukunft habe. Mit den Worten »Du verstehst mich nicht« beendete S. die Freundschaft. Das tat ihm später leid, aber er konnte sich trotzdem nicht entschuldigen. Zu dieser Zeit sucht Dr. S. das erste Mal den Psychiater auf. Er sitzt zerstört auf seiner Couch, weint und schreit. Er ist wütend: auf seine Frau, auf den Freund, auf die Geliebte, auf
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