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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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folgt ihr, bedroht sie – dumme Geschichte. Was mich an ihr überzeugte, war die Örtlichkeit. Salger/Lehmann mußte einen Grund haben, seine Vaterrolle von Bonn aus zu spielen, und der nächstliegende Grund war, daß Leo aus Bonn kam.
    Ich trank aus, ließ mir von der Kellnerin den Weg zur Hauptpost zeigen, zahlte und ging. Es waren nur ein paar Schritte. Daß der Name Salger im Telephonbuch Nr. 53 nicht unter Bonn zu finden war, wußte ich schon. Aber die Ministerialbeamtenwitwe, die ich mir als Leos Mutter vorstellen konnte, mochte in einer Umlandgemeinde wohnen. Ich sah das bundesdarlehengeförderte Eigenheim mit abschreibungsfähiger Einliegerwohnung vor mir, klein und weiß in kleinem, buntem Garten mit Jägerzaun darum herum. Ich fand den Namen Salger nicht unter Bad Honnef, Bornheim, Eitorf, Hennef, Königswinter oder Lohmar. Unter Meckenheim gab’s immerhin einen Gartengestalter Salgert Günter und einen Unternehmensberater Salsger Philipp. Dadurch ermutigt, arbeitete ich mich durch Much, Neunkirchen-Seelscheid, Niederkassel, Rheinbach, Ruppichteroth nach St. Augustin. Hier fand ich Salger E. und das war’s dann auch; Siegburg, Swisttal, Troisdorf und Windeck hatten nur noch einen Fachwerkhausrenovierer Sallert M. und eine Krankenschwester Salga Anna zu bieten. Ich notierte mir Telephonnummer und Adresse von Salger E. und nahm die nächste freie Telephonzelle.
    »Ja bitte?« Die wackelige Stimme einer Frau, die von einem Kreislaufkollaps getroffen, vom Schlaganfall gezeichnet oder Alkoholikerin ist.
    »Guten Tag, Frau Salger. Mein Name ist Selb. Ihr Fräulein Tochter Leonore hat Ihnen sicher erzählt von unserem Jungen, und meine Frau und ich haben uns so gefreut über die beiden und sind jetzt so in Sorge, und weil wir uns noch gar nicht begegnet sind, Sie und wir, und ich heute in Bonn bin, dachte ich …«
    »Meine Tochter ist nicht da. Bitte wer spricht?«
    »Selb. Ich bin der Vater des Freundes …«
    »Ah, Sie sind vom Fernsehservice. Ich habe Sie schon gestern erwartet.«
    Kreislaufkollaps konnte ich ausschließen. Es blieben Schlaganfall und Alkoholabusus. »Sind Sie um achtzehn Uhr zu Hause?«
    »Gestern konnte ich den Fernsehfilm nicht sehen. Jetzt kann ich auch keine Videofilme mehr sehen.« Die Stimme wackelte noch mal und brach. »Wann kommen Sie?«
    »In einer halben Stunde bin ich bei Ihnen.« Bei Hertie kaufte ich für DM 129, – einen kleinen Schwarzweiß-Fernsehapparat, für DM 9,99 einen Satz Schraubenzieher, und für DM 29,90 gab’s einen grauen Monteurskittel im Angebot. Dann war ich zum Auftritt als Halbgott in Grau am Krankenbett von Frau Salger gerüstet.

19
Warum gehen Sie nicht?
    Der Taxifahrer vor dem Bahnhof war’s zufrieden. Die Tour nach Hangelar zur Drachenfelsstraße gehört schon zu den längeren und besseren. Daß ich den grauen Monteurskittel überzog, beobachtete er im Rückspiegel allerdings stirnrunzelnd, und als ich mit dem Fernsehapparat in der Hand durchs Gartentor zur Haustür ging, verfolgte mich sein mißtrauischer Blick. Er wartete mit laufendem Motor, ich weiß nicht, worauf. Ich klingelte zweimal, wurde nicht ins Haus gelassen, kehrte aber auch nicht zum Wagen zurück. Schließlich fuhr er. Als ich ihn nicht mehr hörte, war es ganz still. Manchmal zwitscherte ein Vogel. Ich klingelte ein drittes Mal, und die Türglocke verhallte weit weg wie ein müder Seufzer.
    Das Haus war groß, und im Garten standen alte, hohe Bäume. Nur der Jägerzaun war, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich nahm einen weiten Bogen über den Rasen und kam zur Terrasse an der Rückseite. Unter grün und weiß gestreifter Markise saß sie auf rohrgeflochtenem Liegestuhl. Sie schlief. Ich setzte mich ihr gegenüber auf einen Rohrstuhl und wartete. Von weitem hätte sie Leos Schwester sein können. Von nahem zeigte ihr Gesicht tiefe Furchen und ihr halblanges aschblondes Haar graue Strähnen. Die Sommersprossen, die das Gesicht übersäten, hatten ihre Lustigkeit verloren und waren stumpf. Ich versuchte, mein Gesicht in die gleichen Falten zu legen und die dazugehörige innere Befindlichkeit herauszufinden. Ich fühlte die steilen Falten über der Nase und die scharfen Striche im Augenwinkel, als ich meine Augen in Anstrengung und Abwehr zusammenkniff.
    Sie wachte auf, und ihr vorsichtig blinzelnder Blick ging zu mir, zur Flasche auf dem Tisch und wieder zu mir. »Wieviel Uhr ist es?« Sie rülpste, und der Alkohol dünstete herüber. Auch Schlaganfall konnte ich

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