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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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mehr. Eine Tracht Prügel, das hätte sie gebraucht, aber mein Schlappmann … Schwanzschlappmann …«
    »Seit wann haben Sie keinen Kontakt mehr mit Leo?«
    »Ach, lassen Sie mich gehen. Alle gehen, zuerst er, dann sie. Warum gehen Sie nicht auch?«
    Der Regen war dicht geworden, und ihr und mir klebten die nassen Haare am Kopf. Ich versuchte es noch mal.
    »Wann ist sie gegangen?«
    »Gleich nach ihm. Der andere hatte doch schon darauf gewartet. Wahrscheinlich wollte sie …«
    »Was?«
    Sie antwortete nicht. Sie war mitten im Satz eingeschlafen. Ich gab auf, kurbelte die Markise wieder heraus und hörte noch eine Weile dem Schnarchen von Frau Salger und dem Regen zu, der aufs Segeltuch rauschte. Den Fernsehapparat ließ ich ihr da.

20
Löcher stopfen
    »Wenn Sie was über Interna und Personalia der Bonner Politik wissen wollen, dann reden Sie mit Breuer. Er ist in Ihrem Alter, lebt seit 1948 in Bonn, schreibt für verschiedene kleinere Zeitungen und hat eine Zeitlang im Fernsehen eine Sendung mit Abgeordneten gemacht, die 1. Interfraktionale. Er hat Hinterbänkler aller Fraktionen vereinigt und mit ihnen über Politik diskutiert, als interessierten sie sich dafür und verstünden was davon. Es war furchtbar komisch, aber die Fraktionsspitzen haben erreicht, daß die Reihe abgesetzt wurde. Ist ein witziger und gescheiter Typ, der Breuer.«
    Den Tip bekam ich von Tietzke, einem alten Mannheimer Bekannten, der früher fürs Heidelberger Tageblatt schrieb und jetzt bei der Rhein-Neckar-Zeitung front. Ich rief Breuer an. Er war bereit, mich am frühen Morgen des nächsten Tages zu empfangen.
    So blieb ich denn in Bonn. Hinter den Bäumen und dem Weiher, die das Poppelsdorfer Schloß umgeben, fand ich ein ruhiges Hotel. Von hier hatte ich nicht weit zu Breuer. Vor dem Einschlafen rief ich Brigitte an. Die fremden Geräusche der fremden Stadt, das fremde Zimmer, das fremde Bett – ich hatte doch wirklich Heimweh.
    Breuer begrüßte mich am nächsten Morgen mit quirliger Gesprächigkeit: »Selb war der Name, nicht wahr? Sie kommen aus Mannheim? Ein alter Freund von Tietzke? Ja, daß es das Heidelberger Tageblatt nicht mehr gibt! Ich denke immer öfter … Aber was soll’s. Kommen Sie rein.«
    Die Wände des Zimmers waren voller Bücher, der Blick durch das breite Fenster ging in ein Häusergeviert mit alten Bäumen und dahinter auf zwei hohe Fabrikschlote. Der Tisch vor dem Fenster war mit Papieren bedeckt, auf dem Bildschirm eines Schreibcomputers blinkte auffordernd ein kleines grünes Dreieck, in der Kaffeemaschine zischte das Wasser. Breuer bot mir einen tiefen Sessel an, setzte sich auf den Drehstuhl vor dem Tisch, griff unter den Sitz, zog an einem Hebel und fuhr krachend mit dem Sitz herunter. Jetzt saßen wir uns auf gleicher Höhe gegenüber.
    »Dann mal los. Tietzke sagt, ich soll für Sie tun, was ich für Sie tun kann, also gut. Jetzt sind Sie dran. Sie sind Detektiv?«
    »Ja, und ich arbeite an einem Fall, in dem eine junge Frau Salger vorkommt und ihr toter Vater, der in Bonn einmal etwas Besseres gewesen sein muß. Oder ist Ministerialdirigent noch gar nichts Besseres? Sagt Ihnen der Name Salger etwas?«
    Zunächst hatte er mich aufmerksam angeschaut, nun sah er gedankenverloren aus dem Fenster. Mit seiner Linken massierte er das linke Ohrläppchen.
    »Wenn ich so aus dem Fenster blicke … Wissen Sie, warum ich die beiden Fabrikschlote dort drüben mag? Sie künden von einer anderen Welt, vielleicht nicht einer besseren, aber einer ganzeren, in der es anders als hier in Bonn nicht nur Beamte, Politiker, Journalisten, Lobbyisten, Professoren und Studenten gibt, sondern Leute, die arbeiten, die etwas bauen, Maschinen oder Autos oder Schiffe, ganz egal, die Banken und Firmen gründen, hochbringen und ruinieren, die Bilder malen oder Filme drehen, die arm sind, betteln, Verbrechen begehen. Können Sie sich in Bonn ein Verbrechen aus Leidenschaft vorstellen? Aus Leidenschaft für eine Frau oder auch nur für Geld oder weil einer Kanzler werden will? Nein, können Sie nicht und kann ich auch nicht.«
    Ich wartete. Spricht es für einen Journalisten, wenn er die Fragen, die er stellt, selbst beantwortet? Spricht es gegen ihn? Breuer massierte wieder das Ohrläppchen. Die hohe Stirn, der scharfe Blick, das fliehende Kinn – er sah gescheit aus. Ich hörte ihm auch gerne zu; er näselte auf angenehme Weise, und was er über Bonn sagte, klang hübsch. Zugleich fühlte ich mich als Gast einer routiniert

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