Selbs Betrug
waren ganz schön neben der Kappe neulich. Peschkalek ist mein Name, wir sind uns auf der Autobahn begegnet.«
Der Mittvierziger in grünem Loden, mit Glatze, dichtem Schnauz und nettem, schiefem Lächeln hatte mich nach dem Unfall des Möbelwagens an die Böschung geführt und mir eine Zigarette angezündet. Ich bedankte mich.
»Keine Ursache, keine Ursache. Seien wir froh, daß der Unfall so glimpflich verlaufen ist. Die Bilder scheinen auch alle heil zu sein. Wie wär’s, gehen wir rüber in die Kunsthalle und schauen uns an, was uns schier das Leben gekostet hätte?«
Er entpuppte sich als Photograph, Photojournalist, und wußte über die Kompositionen der ausgestellten photorealistischen Bilder Kluges zu sagen. Ich entdeckte auf den Bildern Details, die ihm entgingen. »Aha, der Detektiv!« Es wurde ein kurzweiliger Nachmittag, und wir verabschiedeten uns auf ein baldiges Wiedersehen.
Manchmal hatte ich das Gefühl der Ruhe vor dem Sturm. Aber ich wußte nicht, wie ich für den Sturm Vorsorge treffen sollte. Außerdem können Gefühle täuschen, genauso wie Gedanken.
Am dritten Tag hatte ich Lust auf ein Frühstück außer Haus. Seit das Café Gmeiner durch ein Restaurant ersetzt worden ist, in dem Gänsestopfleber in Jurançon-Gelee, Seeteufelschnitten an Senfkeimlingen und ähnlicher Schnickschnack serviert wird, gehe ich ins Café Fieberg in der Seckenheimer Straße. Die Bedienung ist von lärmender Herzensgüte, hat mich unter ihre Fittiche genommen und der Küche beigebracht, wie ich meine Eier esse. Spiegeleier, kurz vor dem Servieren mit einem Schwuppdich in der Pfanne gewendet.
Sie brachte Pfeffer und Muskat. »Noch ein Kännchen?«
»Für mich bitte auch eines.« Er rückte den Stuhl zurecht und setzte sich mir gegenüber. Ich erkannte ihn an der Stimme, noch ehe er sich mit »Salger« vorstellte. Ich nickte nur und sah ihn an. Volles Gesicht, hohe Stirn, schwere Gestalt, eine Aura bourgeoiser Behäbigkeit. Ich konnte ihn mir im grauen Flanell des Lehrers, im dunkelblauen Nadelstreifen eines Bankiers oder auch als Richter oder Pastor im Talar vorstellen. Jetzt trug er ein ledernes Jackett, darunter Flanellhose und Pullover. Er mochte Mitte vierzig sein. Ob der Zug um seinen Mund Schmerz, Ironie oder sauren Magen anzeigte, meinte ich sagen zu können, wenn ich seine Augen sähe. Aber die blieben hinter einer spiegelnden Sonnenbrille verborgen.
»Herr Selb, ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig. Daß Sie ein guter Detektiv sind, wußte ich, und ich hätte wissen müssen, daß Sie mein kleines Versteckspiel durchschauen würden. Tragen Sie mir nicht nach, daß ich es gleichwohl gespielt habe. Es wäre mir ganz, ganz furchtbar, wenn Sie darin einen Mangel an Vertrauen in Ihre Kompetenz und Integrität sehen würden. Es handelt sich vielmehr einfach darum, daß …« Er schüttelte den Kopf. »Nein, lassen Sie mich anders …« Die Kännchen kamen, er ließ sich eine Portion Honig dazu bringen, und während er den Kaffee einschenkte, Sahne und Honig dazugab, umrührte und geschmäcklerisch am Kaffee nippte, sagte er nichts.
»Wissen Sie, ich kenne Leonore Salger seit vielen, vielen Jahren. Daß wir zusammen aufgewachsen sind, davon kann bei unserem Altersunterschied natürlich nicht wirklich die Rede sein. Aber großer Bruder und kleine Schwester, altersmäßig weit auseinander, innerlich eng verbunden – Sie wissen, welche Konstellation ich meine? Und der verbitterte Vater und die versoffene Mutter«, er schüttelte wieder den Kopf, »das hat Leo in der Beziehung zum älteren Bruder auch etwas von dem Halt suchen und finden lassen, den sonst die Eltern geben. Sie verstehen?«
Ich sagte nichts. Ich konnte später in Leos Album schauen. Wenn seine Geschichte stimmte, würde ich Photos von ihm finden.
»Eigentlich habe ich Sie gar nicht belogen, als ich mich in väterlicher Besorgnis an Sie wandte. Mir war und ist so, wie Sie mich am Telephon erlebt haben. Leo ist Anfang des Jahres verschwunden, und ich fürchte, sie ist in falsche Kreise und eine dumme Geschichte hineingeraten. Ich fürchte, sie braucht Hilfe, obwohl sie das vielleicht selbst noch nicht weiß. Ich habe die ganz, ganz große Furcht …«
»Ihre Hilfe?«
Salger zeigte Sinn für dramatische Effekte. Er lehnte sich im Stuhl zurück, hob langsam die Rechte, nahm die Sonnenbrille ab und sah mich ruhig an. Schmerz, Ironie oder saurer Magen? Der Blick unter tiefen Lidern sagte mir nicht mehr als der Zug um den Mund.
»Meine Hilfe,
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