Selbs Betrug
dargebotenen Vorstellung. Vermutlich hatte er schon tausendmal erzählt, was es mit den Fabrikschloten und Bonn auf sich hat.
»Salger … Ja, ich erinnere mich. Müßten Sie eigentlich auch. Was für eine Zeitung lesen Sie?«
»Heute die Süddeutsche, früher alles mögliche, von der Frankfurter …«
»Vielleicht hat die Süddeutsche nicht viel über Salger berichtet. Weniger als die anderen. In manchen hat er Schlagzeilen gemacht.«
Ich sah ihn fragend an. Er genoß das Spiel mit meiner Neugier. Ich wollte ihm die Freude gerne lassen. Wenn die Leute das tun, was ich will, sind mir Umstände und Umwege egal.
»Kaffee?«
»Gerne.«
Er schenkte ein. »Salger war, wie Sie gesagt haben, Ministerialdirigent. Er hatte im Verteidigungsministerium mit Beschaffung zu tun. Hatte damals jeder, der was zu sagen hatte. Erinnern Sie sich an die fünfziger und sechziger Jahre? War alles Beschaffung damals, das ganze Leben, die ganze Politik.« Schmatzend nahm er einen Schluck aus seiner Tasse. »Erinnern Sie sich an den König-Skandal?«
Ich hatte keine Ahnung: »Ende der sechziger Jahre?«
»Genau. König war Staatssekretär und Präsident eines Fonds, über den am Haushalt vorbei große zivile Bauprojekte der Bundeswehr finanziert wurden. Das war eine eigentümliche Konstruktion, Staatssekretär und Fondspräsident, aber so war das nun mal, und Salger war Ministerialdirigent und Vorstandsmitglied des Fonds. Fällt’s Ihnen wieder ein?«
Mir fiel gar nichts ein, aber ich hatte einmal richtig geraten und versuchte es noch mal: »Unterschlagung?« Wie sollten Fondspräsidenten und Vorstandsmitglieder anders einen Skandal zuwege bringen.
»Biafra.« Breuer griff wieder nach dem Ohrläppchen, als wolle er daraus die Fortsetzung der Geschichte melken, und sah mich bedeutungsvoll an. »König hatte mit Biafra-Anleihen spekuliert und hätte, wenn die Sezession von Nigeria gelungen wäre, Millionen gemacht. Aber wie wir wissen, hat Ojukwu verloren und damit auch König. Ich kann nicht sagen, ob er das Geld des Fonds im juristischen Sinne unterschlagen oder veruntreut hat oder was. Er hat sich aufgehängt, ehe das Urteil verkündet wurde.«
»Und Salger?«
Er schüttelte den Kopf. »Das war vielleicht ein verrückter Kerl. Sie erinnern sich wirklich nicht mehr? Der Verdacht fiel zuerst auf ihn. Er wurde verhört und verhaftet und sagte gar nichts. Er fand, es verstehe sich von selbst, daß ihm nichts vorzuwerfen sei. Er war persönlich gekränkt, verstehen Sie, er schmollte. Und als schließlich rauskam, daß König …«
»Wie?«
»König hatte Schulden über Schulden, und als kein Biafra-Geld kam, hat er die Löcher anders zu stopfen versucht, mit immer mehr Bauzuschüssen und -darlehen aus dem Fonds, und damit ist er aufgeflogen.«
»Wie lange war Salger in Haft?«
»Wohl ein halbes Jahr.« Er breitete die Arme aus. »Das ist lange. Und die ganze Zeit haben die Kollegen, die Vorgesetzten und die politischen Freunde nichts mit ihm zu tun haben wollen. Alle dachten, er war’s. Als klar war, daß er’s nicht war, haben sie versucht, ihm Vernachlässigung seiner Pflicht als Vorstandsmitglied anzuhängen. Aber auch damit war nichts; es fand sich sogar ein Bericht, in dem Salger den Minister beizeiten auf Unregelmäßigkeiten beim Fonds hingewiesen hatte. Also wurde er rehabilitiert. Er sollte sogar befördert werden. Aber er kam nicht damit zurecht, daß dieselben Leute, die ihn verdächtigt oder schon verurteilt hatten, ihn jetzt beglückwünschten und ansonsten taten, als sei nichts gewesen. Er stieg aus und brach mit allen, mit den Kollegen, den Vorgesetzten und den politischen Freunden. Mit kaum fünfzig war er Pensionär und völlig einsam. Verstehen Sie das?« Er schüttelte wieder den Kopf.
»Geht die Geschichte noch weiter?«
Breuer schenkte uns Kaffee nach und griff ein Päckchen Marlboro vom Schreibtisch. »Die erste heute – mögen Sie auch?« Ich holte meine gelbe Schachtel aus der Tasche, bot ihm eine an, und er bediente sich mit großer Selbstverständlichkeit. Ein Filterzigarettenraucher, der beim Anblick einer Sweet Afton nicht »och, die sind ja ohne Filter« sagt, sondern neugierig zugreift – das mag ich.
»Die Geschichte schleppt sich noch ein bißchen hin. Salger tritt in die Friedenspartei ein, kandidiert für den Bundestag und führt den aussichtslosen Wahlkampf mit einem Eifer, der einer besseren Sache würdig wäre. Er schreibt ein Buch, in dem er seine Erlebnisse verwurstet, das zuerst
Weitere Kostenlose Bücher