Selbs Betrug
sich gerade. »Ich weiß nicht genau.«
Ich glaube Frauen nicht, wenn sie sagen, daß sie nicht wissen, ob sie gefallen. Leo saß zwar wieder in Jeans und kariertem Männerhemd neben mir, aber ihre Stimme, ihr Duft – sogar in den nervösen Bewegungen, mit denen sie Zigaretten drehte, spürte ich die Frau. Und sie wußte nicht, ob Rolf Wendt in sie verliebt war?
Sie merkte, daß ich ihr nicht glaubte. »Also gut, er war in mich verliebt. Ich habe es nicht wahrhaben wollen, es hat mir ein schlechtes Gewissen gemacht. Er hat so viel für mich getan, nichts dafür bekommen, auch nichts erwartet, aber gehofft hat er sicher, daß ich mich in ihn verliebe.«
»Und Helmut?«
Sie sah mich fragend an.
»Ist er in dich verliebt? Will er darum unbedingt wissen, wo du bist? Zehntausend Mark ist eine Menge Geld.«
»Oh«, sie wurde rot und wandte den Kopf zum Fenster, »ist das nicht normal? Wenn man ein Kommando hat, jemanden führt und verliert?«
34
Engel schießen nicht auf Katzen
Am Abend saßen wir in Murten über dem See. Von der Terrasse des Hotel Krone aus sahen wir den späten Segelbooten zu. Unter der abendlichen Flaute fanden sie ihren Weg in den Hafen nur langsam. Das letzte Dampfschiff aus Neuenburg zog souverän an ihnen vorbei, als wolle es die Überlegenheit der Technik über die Natur beweisen. Die Sonne ging hinter den Bergen am anderen Ufer unter.
»Ich hole den Pulli.« Leo stand auf und blieb lange weg. Der Ober brachte mir den zweiten Aperitif. Vom See stieg Stille hoch und schluckte das Stimmengewirr in meinem Rücken. Ich drehte mich um, und Leo trat durch die hohe Glastür auf die Terrasse. Sie hatte nicht den Pulli angezogen. Sie trug ein enges schwarzes Kleid mit engen langen Ärmeln, das oben halsnah begann und unten über dem Knie endete, und schwarze Schuhe mit hohen Absätzen. Strümpfe, Stola und Spange im hochgesteckten, überbordenden Haar waren rot. Mit dem Weg über die Terrasse ließ sie sich Zeit. Wenn sie einem Tisch auswich, tat sie’s mit Schwung in der Hüfte, und wenn sie sich dünn machte, weil es zwischen den Stühlen eng wurde, zog sie die Schulter so hoch, daß es auch der Brust im Kleid eng wurde. Wo nichts im Weg stand, ging sie mit wiegenden Hüften und erhobenem Kopf. Ich stand auf, rückte ihr den Stuhl zurecht, und sie setzte sich. Die Gäste auf der Terrasse hatten ihr nicht nur wegen ihres Gangs nachgeschaut. Der Rückenausschnitt endete an den Hüften.
»Du bist wunderschön.«
Wir saßen uns gegenüber, und ihre Augen, deren schillernde Iris bei blauem Himmel blau, unter grauen Wolken grau und manchmal grün ausgesehen hatte, leuchteten dunkel. In ihrem Lächeln lag die Freude an dem Spiel, das sie spielte. Eine Spur Verführung, ein bißchen Selbstgefälligkeit und ein bißchen Selbstironie. Auf mein Kompliment hin schüttelte sie den Kopf, als wolle sie sagen: Ja, aber sag’s nicht weiter.
Der Ober empfahl uns den Fisch aus dem See und den Wein vom anderen Ufer. Leo aß wie ein Scheunendrescher. Über dem Essen erfuhr ich, daß sie als Schülerin ein Jahr in Amerika verbracht hatte, daß Jersey nicht knittert, daß mir das Hemd und die Jacke, die ich auf ihren Rat in Belfort gekauft hatte, gut stehen, und daß ihre Mutter ursprünglich Synchronsprecherin und in erster Ehe mit einem gescheiterten Regisseur verheiratet gewesen war. Es war unüberhörbar, daß ihr Verhältnis zu ihrer Mutter nicht gut war. Sie wollte von mir wissen, wie man als Privatdetektiv lebt, seit wann ich einer war und was ich früher gemacht hatte.
»Staatsanwalt?« Sie sah mich verwundert an. »Und warum hast du damit aufgehört?«
Ich habe im Lauf meines Lebens schon viele verschiedene Antworten auf diese Frage gegeben. Vielleicht stimmen alle. Vielleicht stimmt keine. 1945 hatte man mich als Nazi-Staatsanwalt nicht mehr gewollt, und als man die alten Nazis wieder wollte, wollte ich nicht mehr. Weil ich kein alter Nazi mehr war? Weil mich das Schwamm-drüber-Denken derer störte, die in der Justiz meine alten Kollegen gewesen waren und meine neuen geworden wären? Weil ich mir die Frage, was Recht und was Unrecht ist, von niemandem anderes mehr beantworten lassen wollte? Weil ich als Privatdetektiv mein eigener Herr bin? Weil man im Leben nicht wieder aufgreifen soll, womit man einmal abgeschlossen hat? Weil ich nicht mag, wie es in Behörden riecht? »Ich kann’s nicht genau sagen, Leo. Staatsanwalt – das war für mich 1945 einfach vorbei.«
Als ein kühler Wind aufkam,
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