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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Abstand, um sich alle genau anschauen zu können. Peschkalek umkreiste die Trauergemeinde in großem Bogen und schoß Photos. Als der letzte von Wendts Leuten sein Schäufelchen Erde ins Grab geworfen hatte, verliefen sich die Trauernden rasch. Hinten wurde der kleine Bagger angelassen, mit dem die Totengräber sich heutzutage die Arbeit leichter machen.
    Peschkalek trat neben mich. »Und schon ist alles vorbei.«
    »Das ging mir auch durch den Kopf.«
    »Sie haben Wendt persönlich gekannt?«
    »Ja.« Ich sah keinen Grund, es ihm nicht zu sagen. »Ich ermittele im Auftrag seines Vaters.«
    »Also machen wir wirklich das gleiche. Natürlich recherchiere ich nicht im Auftrag seines Vaters, sondern in meinem eigenen. Aber Sie und ich wollen rauskriegen, was Sache ist. Gehen wir zusammen Mittag essen? Lassen Sie Ihr Auto stehen, ich bringe Sie wieder hierher.«
    Wir fuhren nach Ladenburg. In der ›Zwiwwel‹ gab es eine Kerbelsuppe, dann Lamm mit gratinierten Kartoffeln. Peschkalek ließ eine Flasche Forster Blauer Portugieser kommen. Zum Nachtisch wurden frische Erdbeeren gereicht. Natürlich wollte ich wissen, warum Peschkalek recherchierte, was er suchte und was er vielleicht schon gefunden hatte. Aber ich hatte keine Eile. Wieder war das Zusammensein mit ihm kurzweilig und angenehm. Er erzählte von Photoreisen durch Europa und Amerika, Afrika und Asien und erwähnte Kriege, Konferenzen, Kunstwerke, Verbrechen, Hungersnöte und Prominentenhochzeiten, die er photographiert hatte, in buntem Durcheinander und mit großer Leichtigkeit. Ich staunte. Fernweh hin, Fernweh her, ich war froh, der Provinzler zu sein, der ich bin. Ein kurzer Aufenthalt in Amerika, einige Segelfahrten durch die Agäis, auf die mich meine griechische Freundin aus gemeinsamer Studienzeit gelegentlich auf ihrer Yacht mitnimmt, ein paarmal Urlaub mit Klärchen in Rimini, Kärnten und auf Langeoog – mehr war nicht gewesen, so gerne ich in die Ferne fahre. Ich glaube, ich möchte auch den noch so photogenen Bürgerkrieg oder die Hochzeit von Elizabeth Taylor mit Lothar Späth vor der Kulisse des Taj Mahal gar nicht sehen.
    Über Sambuca und Espresso, als seine Pfeife und meine Zigarette brannten, fing Peschkalek unaufgefordert an: »Was ich bei Wendt zu photographieren habe, werden Sie sich fragen. Genau weiß ich’s noch nicht. Aber ich rieche die heiße Story, wenn sie mir unter die Nase kommt. Und wo eine heiße Story ist, mache ich scharfe Bilder. Das bloße Schreiben ist geschenkt. Notfalls mache ich’s selbst. Recherchieren – das zählt, und recherchieren ist photographieren, und was nicht im Bild ist, ist nicht in der Welt. Verstehen Sie?«
    Er hatte sein photojournalistisches Credo mit Leidenschaft vorgetragen, und ich nickte gerne.
    »Was ist Ihnen unter die Nase gekommen?«
    Er griff in die Innentasche seiner Jeansjacke und holte ein Blatt hervor: »Ich zähle eins und eins zusammen. Gestern vor einer Woche wurde Wendt ermordet. Er hatte eine junge Terroristin, Leonore Salger, im Psychiatrischen Landeskrankenhaus versteckt. Nach der jungen Terroristin wird wegen eines Anschlags auf amerikanische Militäreinrichtungen gefahndet. Die öffentliche Fahndung läuft am Abend des Mords an, am Montagabend hab ich’s im Fernsehen gesehen und am Dienstagmorgen in der Zeitung gelesen. Sie wollen mir doch nicht sagen, daß das ein Zufall ist. Hat die Salger Wendt umgelegt? Oder jemand von CIA , FBI oder DEA ? Seit der Achille Lauro mögen’s die Amis nicht mehr, daß man Anschläge auf ihre Einrichtungen macht und ihre Leute entführt oder ermordet. Sie schlagen zurück. Und es heißt, es hat Tote gegeben beim fraglichen Anschlag.«
    Ich zeigte auf das Blatt in seiner Hand: »Was ist das?«
    »Jetzt wird’s mysteriös. Ich weiß nicht, wie genau Sie aufgepaßt haben. Daß die Polizei über die Umstände von Wendts Tod, über Motive und Verdächtige nichts sagt – okay, das verstehe ich. Sie weiß wohl nicht genug. Aber verstehen Sie, warum weder die genaue Zeit noch der genaue Ort, noch die genaue Art, noch die genauen Folgen des Anschlags mitgeteilt werden? Nichts Genaues, einfach nichts Genaues, weder im Fernsehen noch in der Presse. Ich habe extra noch mal die alten Zeitungen angeschaut, mit Baader und Meinhof und Schleyer. Was damals geschrieben wurde, war zwar oft Wischiwaschi, aber allemal genauer, als was wir hier zu lesen und zu hören bekamen. Sie folgen mir?«
    »O ja. Es sind übrigens nicht nur die Medien. Auch die Polizei hält

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