Selbs Betrug
sich hier bedeckter als üblich.«
»Ich habe mir gesagt, daß da etwas nicht stimmt. Man kann einen Anschlag nicht zugleich an die große Glocke hängen und totschweigen. Wenn niemand ihn bemerkt hätte … Aber das kann ich mir auch nicht vorstellen. Vielleicht haben die Leute nicht gemerkt, was passiert ist. Aber daß was passiert ist, muß jemand gemerkt haben. Und dann hat er’s auch nicht für sich behalten. Nun kann ich nicht den ganzen Raum abklappern und alle Leute fragen. Aber ich hab die Zeitungen durchgesehen, die Lokalnachrichten. Im Mannheimer Morgen, in der Rhein-Neckar-Zeitung, in der Rheinpfalz und in ihren vielen Ablegern. Ich habe die kleinen Meldungen gesucht. Gestern nacht wurde Landwirt L. durch eine Erschütterung aus dem Schlaf gerissen, die das Geschirr im Schrank klirren und die Fenster springen ließ. Die Ursache konnte noch nicht geklärt werden … Verstehen Sie?«
»Hatten Sie Erfolg?«
Mit breitem, stolzem Lächeln gab er mir das Blatt. »Viernheimer Tageblatt« und ein Datum im März hatte er auf der Kopie eines Zeitungsartikels vermerkt.
»Lesen Sie!«
EXPLOSIONEN IM MUNITIONSDEPOT ?
»Ist es in den letzten Jahren im Munitionsdepot der amerikanischen Streitkräfte bei Viernheim zu Explosionen gekommen? Trifft es zu, daß die dortigen Wachmannschaften seit Monaten besondere Schutzkleidung tragen?«
So der Text einer Anfrage, die gestern im Kreistag die Grünen an Landrat Dr. S. Kannenguth in seiner Funktion als Katastrophenschutzbeauftragter des Kreises Bergstraße gerichtet haben. Den Hintergrund der Anfrage hat der Fraktionssprecher der Grünen, J. Altmann, nicht ausgeführt.
Der Landrat konnte »aus der Hüfte« selbstverständlich keine Klarheit schaffen. Er sicherte Überprüfung der Angelegenheit und schriftliche Bearbeitung bis zur nächsten Sitzung zu.
Tatsache ist, daß ich im Januar dieses Jahres bei einer zufälligen nächtlichen Fahrt durch den Wald über dem Gelände des Munitionsdepots Feuerschein beobachtet habe. Die vor dem Tor anwesende Viernheimer Polizei gab mangels Zuständigkeit keine Auskunft, und mehrere Anfragen an die Pressestelle der Army blieben ohne Resonanz.
H. Walters
5
Gas muß nicht stinken
Ich las den Text zweimal. Und gleich noch ein drittes Mal. Entging mir etwas? War ich schwer von Begriff? Daß der Anschlag im Januar stattgefunden, einem Munitionslager bei Viernheim gegolten und die Aufmerksamkeit von H. Walters geweckt hatte – mehr als diese Bestätigung von Leos Bericht konnte ich dem Artikel nicht entnehmen. Peschkalek konnte ihm nicht einmal das entnehmen. Was fand er daran so aufregend?
Ich hielt mich ans Nächstliegende. »Wie ist die Antwort des Landrats ausgefallen?«
»Wie wohl! Erkundigungen bei den zuständigen deutschen und amerikanischen Dienststellen haben keinen Hinweis auf Explosionen im Munitionsdepot ergeben. Schutzkleidung tragen die Wachmannschaften gelegentlich zu Übungszwecken. Die Sicherheit der Bevölkerung war beim Betrieb des Munitionsdepots in Viernheim zu keiner Zeit gefährdet.«
»Haben Sie mit Altmann gesprochen? Oder mit Walters?«
»Altmann verdanke ich die Antwort des Landrats. Sonst war er eine ziemliche Enttäuschung.« Peschkalek grinste mich an: »Und ich bin eine Enttäuschung als Pfeifenraucher. Geben Sie mir lieber eine von Ihren Zigaretten.« Er legte die Pfeife weg, die trotz verzweifelter Bemühungen nicht hatte brennen wollen, griff zum gelben Päckchen und rauchte genußvoll. »Besondere Hintergrundinformation hat Altmann nicht. Sein Hintergrund ist Walters. Dessen zufällige nächtliche Beobachtung hat Altmann genügt, den Landrat ein bißchen zu pieksen. Ob Walters mehr hat, weiß ich nicht. Ich habe ihn gestern nicht mehr erwischt.« Peschkalek schaute auf die Uhr, aus dem Fenster und mich an. »Wie wär’s? Fahren wir nach Viernheim und reden mit ihm? Er müßte jetzt in der Redaktion sein.«
Es war halb vier geworden. Ich hätte mich und das alkoholisierte Lamm in meinem Magen lieber zu ausgiebigem Mittagsschlaf gebettet.
Auf der Fahrt über Heddesheim nach Viernheim erinnerte ich mich an einen alten Fall: die Viernheimer Konfessionskriege. Aus der katholischen Kirche war ein Altarbild mit der heiligen Katharina abhanden gekommen, und der Kaplan verdächtigte die Protestanten, wetterte von der Kanzel gegen die diebischen Ketzer, und es gab Schmierereien an der evangelischen Kirche, an der katholischen, und dann gingen Kirchenfenster zu Bruch. Das war alles lange, lange her.
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