Selbs Betrug
militärisch-zackig, ich legte meine Rechte an einen imaginären Hutrand. Peschkalek erklärte, daß wir ein appointment mit dem Chef der fire brigade hätten. Der Soldat telefonierte, ein offener Jeep fuhr vor, und wir stiegen ein. Ich saß neben dem Fahrer und stellte den Fuß auf den Rand des Seitenblechs, wie uns die amerikanischen Kriegsfilme lehren, daß es sich in einem Jeep gehört. Wir fuhren eine kleine, wiesen- und baumgesäumte Straße entlang. Ein Trupp trabender Soldatinnen mit hüpfenden Leibchen kam uns entgegen. Von weitem war die hölzerne, weiß gestrichene Halle zu sehen, vor deren großen Toren die Feuerwehrwagen parkten. Sie waren nicht rot und golden verziert, wie ich mir vorgestellt hatte, sondern von demselben Grün wie alles andere.
Der Fahrer führte uns über eine Außentreppe in die Büroetage über den Garagen. Ein schmucker Offizier begrüßte uns, Peschkalek machte die Honneurs. Hörte ich recht? Stellte er mich als Ministerialdirigent Dr. Selb vor? Wir nahmen um einen runden Tisch Platz und bekamen dünnen Kaffee. Der Blick durchs große Fenster ging in die Bäume, hinter dem Schreibtisch stand die amerikanische Fahne, und von der Wand sah mich Präsident Bush an.
»Dr. Selb?« Der Offizier sah mich fragend an.
»Our President wants put an order on the brave men of the night of 6th Januar.«
Der Offizier sah mich weiter fragend an. Peschkalek sprang ein. Er sprach von Viernheim und von der Furchtbarkeit des Terrorismus. Der Bundespräsident wolle den Männern nicht einen Orden, sondern eine Medaille geben lassen. Peschkalek redete auch von Dokumenten, einer Rede und einer Rezeption. Ich verstand nicht, warum und an welcher Rezeption die Männer die Medaillen abholen sollten, ich hätte besser gefunden, sie ihnen bei einem Empfang zu überreichen. Aber auch als ich eine pathetic speech vorschlug, weil ich meine, daß Soldaten Pathos brauchen, fand dies keinen Anklang. Vielleicht sind die amerikanischen Soldaten besonders sensibel, das Wort fiel zwischen den beiden oft.
»Make you no sorrows«, beruhigte ich den Offizier, aber als ich ausholen und allfällige amerikanische Ängste vor unsensibler deutscher Schneidigkeit vertreiben wollte, mischte sich Peschkalek ein. Ob er für die Vorbereitung der Medaillen und Dokumente noch mal um alle Namen bitten dürfe? Ob das, was die einzelnen geleistet hätten, einheitlich zu bewerten oder so unterschiedlich sei, daß es für die einen Medaillen erster und für die anderen Medaillen zweiter Klasse geben solle?
Der Offizier setzte sich an den Schreibtisch, griff einen Hefter von einem Stoß, schlug ihn auf und blätterte. Ich beugte mich zu Peschkalek. »Übertreiben Sie’s nicht!« Nachdem wir vom Anschlag am 6. Januar in Viernheim gesprochen hatten und der Offizier nicht widersprochen hatte, fand ich unsere Mission erfüllt. Peschkalek beugte sich auch zu mir herüber.
Er faßte ein Bein meines Stuhls, riß es weg, und krachend ging ich mit dem Stuhl zu Boden. Ich schlug mit Kopf und Ellbogen auf. Der Ellbogen tat gemein weh. Der Kopf war benommen. Ich kam nicht gleich hoch.
Schon war der Offizier bei mir und half mir zuerst in eine sitzende Stellung, dann auf die Knie, schließlich auf den Stuhl, den er wieder aufgestellt hatte. Von Peschkalek kamen sorgenvolle, bedauernde Laute. Zum Glück faßte er mich nicht an, ich hätte ihn runtergezerrt, ihm den Hals umgedreht, ihn zerstückelt und den Raben zum Fraß vorgeworfen.
Aber er hatte keine Angst vor mir. Er griff meinen linken Arm und kommandierte den Offizier an meine rechte Seite. Beide halfen mir auf, zur Tür und die Treppe hinunter. Peschkalek redete und redete. Unten wartete der Jeep. Peschkalek und der Offizier nahmen mich hinten in die Mitte. Als Peschkalek mir an der Pforte aus dem Jeep half, schaffte ich’s, ihm angelegentlich den gesunden Ellbogen in den Solarplexus zu rammen. Ihm blieb die Luft weg, aber nach einer kleinen Pause redete er weiter auf den Offizier ein.
Die Taxe kam. Der Offizier war sorry, Peschkalek war sorry, ich war sorry. »But we must make us on the socks.« Der Offizier schaute mich wieder seltsam an. Der Soldat mit weißem Helm und Gürtel hielt die Tür auf, wir stiegen ein, der Soldat schlug die Tür zu. Ich machte das Fenster auf, um letzte Worte zu sagen. Aber der Offizier und der Soldat hatten sich abgewandt.
»That happens if you have an army with nothing to do« – wenn ich die leise Bemerkung des Offiziers zum Soldaten richtig gehört
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