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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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er hier angekommen war, nahm er als Fügung, soweit es das für einen Kommunisten überhaupt gibt. Er war berufen und verpflichtet, dafür zu kämpfen, daß die Zeitbombe im Staatsforst Lampertheim entschärft würde. »Vielleicht tickt sie schon lange nicht mehr. Vielleicht haben die Amis nach 1945 alles ausgegraben und weggeschafft. Aber glauben Sie das?«
    Ich lud Opa und Evchen zum Mittagessen in den Kleinen Rosengarten ein und brachte Henlein danach ins Altersheim. Sein Zimmer war voll mit Ordnern. Seit 1955 hatte er Material gesammelt. Ich las, wie Giftgas hergestellt, gelagert und eingesetzt wird, wie es wirkt und wie man sich davor schützt, wo man es in Deutschland hergestellt und gelagert hat, und daß weithin unbekannt ist, wo es nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg verscharrt wurde. Henlein hatte jede Lokal- und Regionalmeldung ausgeschnitten, in der man ein noch so vages Indiz für Giftgas im Staatsforst Lampertheim oder auch in der Viernheimer Heide sehen konnte. Ebenso hatte er alle Meldungen über lokale und regionale Projekte aufgehoben, für die die tickende Zeitbombe besonders gefährlich werden konnte. In den nicht verwirklichten wie in den verwirklichten Projekten spiegelte sich die Entwicklung der Bundesrepublik. Jagdforst, Waldparksiedlung, Erlebnispark, Wiederaufbereitungsanlage, Teststrecke, Naturschutzgebiet, Golfplatz – für die Zeit nach der Freigabe durch die Amerikaner hatte man mit Forst und Heide immer wieder Großes im Sinn gehabt.
    »Wissen Sie, ob 1945 Karten über die Lager angelegt wurden?«
    »Ich glaube schon, und ich glaube, die hatten damals auch Karten, wo das Zeug aus dem ersten Krieg verscharrt war. Aber ich bin auf keine Spur der Karten gestoßen. Stellen Sie sich vor, das Zeug liegt noch da, und die Amis geben das Gebiet frei – die Karten wären ein Vermögen wert.«

13
Lebenslügen
    Genug, um dafür zu morden? Die Waldparksiedlung auf der Viernheimer Heide und im Lampertheimer Forst würde einen Immobilienkönig wie den alten Wendt interessieren, als solche und mit ihren Auswirkungen auf den sonstigen Immobilienmarkt. Zwar hatte ich bei meinen wenigen Spekulationen an der Börse kein Geschick gezeigt. Aber sogar ich sah, daß mit dem Wissen der Karten gewaltige Spekulationsgewinne zu machen waren. Im rechten Moment veröffentlicht, konnten die Karten Planungen verhindern und erzwingen und Grundstückspreise klettern und purzeln lassen.
    Ich lief vom Altersheim über die Planken zum Ring, wo ich meinen Kadett geparkt hatte, kaufte eine Stange Sweet Afton, eine Krawatte mit kleinen weißen Wolken auf nachtblauem Grund und ein Eis mit fünf Kugeln. Ich setzte mich in die Anlagen hinter dem Wasserturm, schleckte mein Eis, hörte dem Rauschen der Fontänen zu und dachte einmal mehr, daß ich gerne in einem der Rondelle wohnen würde, die die beiden Eckhäuser zur Augustaanlage krönen. Ob mir der alte Wendt dazu verhelfen würde? Herr Wendt, ich weiß jetzt, daß Sie für Ihre dunklen Geschäfte die alten Karten gebraucht und daß Sie Ihren Sohn benutzt haben, um sie zu kriegen. Dabei ist er ermordet worden. Sie haben es nicht getan, aber Sie haben es dazu kommen lassen. Sei’s drum, Sie besorgen mir eines der beiden Rondelle da oben, und ich vergesse die ganze Sache.
    Leute morden nicht einfach des Geldes wegen. Sie morden überhaupt nur aus einem Grund: weil sie ihre Lebenslüge anders nicht retten können. Der Mord aus Eifersucht – wenn die Geliebte tot ist, ist sie mein, und niemand kann sie mir nehmen, der andere nicht und nicht sie selbst. Der Mord des Profikillers – er kann nichts, hat nichts, ist nichts und will doch dort mithalten, wo der professionelle Erfolg den Mann macht. Tyrannen morden, weil sie größer sein wollen, als sie sind, und werden ermordet, weil jemand die Welt besser haben möchte, als sie ist. Es gibt den kollektiven Mord um der kollektiven Lebenslüge willen – die Geschichte dieses Jahrhunderts ist voll davon. Gewiß, es gibt auch den Mord aus Habgier. Aber sein Ziel ist nicht, Geld zusammenzuraffen und anzuhäufen. Auch er soll Träume von Größe und Bedeutung retten. Der alte Wendt hatte sich schon lange nicht mehr als Kaiser eines Immobilienimperiums geträumt, sondern als Vater, der sich mit seinem Sohn ausgesöhnt hat. Nein, der alte Wendt hatte mit dem Mord an seinem Sohn nichts zu tun.
    Wenn wir schon dabei sind, Gerhard Selb – was ist mit deiner Lebenslüge? Wie war das mit dir und Körten? Aber mir stand der Sinn

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