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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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die seine Kollegen und Freunde in alle Winde zerstreut hatten, nicht tun.
    Manchmal dachte ich an Frau Buchendorff und an Mischkey. In den Zeitungen hatte ich über seinen Fall nichts gefunden. Als ich einmal angelegentlich in der Rathenaustraße spazierenging, waren die Läden im ersten Stock geschlossen.

2
Am Auto war alles in Ordnung
    Es war reiner Zufall, daß ich ihre Nachricht an einem Nachmittag Mitte September rechtzeitig vorfand. Normalerweise höre ich die nachmittags eingegangenen Anrufe erst am Abend oder am nächsten Morgen ab. Frau Buchendorff hatte am Nachmittag angerufen und gefragt, ob sie mich nach der Arbeit noch sprechen könne. Ich hatte meinen Regenschirm vergessen, mußte deswegen noch mal ins Büro, sah das Signal auf dem Anrufbeantworter und rief zurück. Wir verabredeten uns für fünf Uhr. Sie hatte eine kleine Stimme.
    Kurz vor fünf war ich in meinem Büro. Ich machte Kaffee, spülte die Tassen, ordnete die Papiere auf meinem Schreibtisch, lockerte die Krawatte, öffnete den obersten Kragenknopf, rückte die Krawatte wieder zu recht und schob die Stühle vor meinem Schreibtisch hin und her. Am Ende standen sie da, wo sie immer stehen. Frau Buchendorff war pünktlich.
    »Ich weiß gar nicht, ob ich hätte kommen sollen. Vielleicht bilde ich mir nur was ein.«
    Außer Atem stand sie neben der Zimmerpalme. Sie lächelte unsicher, war blaß und hatte Schatten unter den Augen. Als ich ihr aus dem Mantel half, waren ihre Bewegungen fahrig.
    »Setzen Sie sich. Mögen Sie einen Kaffee?«
    »Seit Tagen trinke ich nur noch Kaffee. Aber ja, geben Sie mir bitte eine Tasse.«
    »Mit Milch und Zucker?«
    Sie war mit ihren Gedanken anderswo und antwortete nicht. Dann sah sie mich mit einer Entschlossenheit an, die ihre Zweifel und Unsicherheiten gewaltsam unterdrückte.
    »Verstehen Sie was von Mord?«
    Vorsichtig stellte ich die Tassen ab und setzte mich hinter meinen Schreibtisch.
    »Ich habe an Mordfällen gearbeitet. Warum fragen Sie?«
    »Peter ist tot, Peter Mischkey. Es war ein Unfall, sagen sie, aber ich kann es einfach nicht glauben.«
    »Um Gottes willen!« Ich stand auf und ging hinter dem Schreibtisch auf und ab. Mir war flau. Ich hatte im Sommer auf dem Tennisplatz ein Stück von Mischkeys Lebendigkeit zerstört, und jetzt war er tot.
    Hatte ich damals nicht auch für sie etwas kaputtgemacht? Warum kam sie jetzt trotzdem zu mir?
    »Sie haben ihn zwar nur das eine Mal beim Tennisspielen erlebt, und da hat er ganz schön wild gespielt, und es stimmt, er war auch ein wilder Fahrer, aber er hatte nie einen Unfall und fuhr immer so sicher und konzentriert – dazu paßt nicht, was jetzt passiert sein soll.«
    Also wußte sie nichts von dem Treffen zwischen Mischkey und mir in Heidelberg. Und das Tennisspiel würde sie auch nicht so erwähnen, wenn sie wüßte, daß ich Mischkey überführt hatte. Anscheinend hatte er ihr nichts erzählt und hatte sie auch als Firners Sekretärin nichts mitbekommen. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte.
    »Mischkey hat mir gut gefallen, und es tut mir furchtbar leid, Frau Buchendorff, von seinem Tod zu hören. Aber wir wissen beide, daß auch der beste Fahrer nicht gegen Unfälle gefeit ist. Warum, meinen Sie, war es kein Unfall?«
    »Kennen Sie die Eisenbahnbrücke zwischen Eppelheim und Wieblingen? Da ist es passiert, vor zwei Wochen. Nach dem Polizeibericht geriet Peter auf der Brücke ins Schleudern, durchbrach das Geländer und stürzte auf die Gleise, nicht auf die der Durchgangsstrecke, sondern auf die dazwischen. Er war angegurtet, aber das Auto begrub ihn unter sich. Es brach ihm den Halswirbel, und er war auf der Stelle tot.« Sie schluchzte auf, holte das Taschentuch heraus und schneuzte sich. »Entschuldigen Sie. Er fuhr die Strecke jeden Donnerstag; nach der Sauna im Eppelheimer Schwimmbad probte er mit seiner Band in Wieblingen. Er war musikalisch, wissen Sie, und wirklich gut am Klavier. Die Strecke über die Brücke ist fast schnurgerade, die Fahrbahn war trocken, und die Sicht war gut. Manchmal gibt’s da Nebel, aber an dem Abend nicht.«
    »Gibt es Zeugen?«
    »Die Polizei hat keine ermittelt. Und es war auch spät, gegen 23 Uhr.«
    »Das Auto wurde technisch untersucht?«
    »Die Polizei sagt, daß am Auto alles in Ordnung gewesen ist.«
    Nach Mischkey mußte ich nicht fragen. Man hatte ihn in die Gerichtsmedizin gebracht, und wenn dort Alkohol oder Herzversagen oder ähnliche Ausfälle festgestellt worden wären, hätte die Polizei

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