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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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durch, ehe ich sie in den Müllsack tat, und schmeckte den faden Geschmack abgestandener politischer Aufregung.
    Ich packte aus und warf eine Waschmaschine an. Dann machte ich meine Einkäufe, ließ von Bäckersfrau, Metzgermeister und Kolonialwarenhändler mein erholtes Aussehen bewundern und fragte nach Neuigkeiten, als müsse während meiner Abwesenheit wunder was passiert sein.
    Es war die Zeit der Schulferien. Die Geschäfte und Straßen waren leerer, mein Autofahrerblick entdeckte an den unwahrscheinlichsten Stellen freie Parkplätze, und über der Stadt lag sommerliche Stille. Ich hatte aus den Ferien jene Leichtigkeit mitgebracht, die einen nach der Rückkehr die vertraute Umgebung zunächst neu und anders erleben läßt. Dies alles gab mir ein Gefühl des Schwebens, das ich noch auskosten wollte. Den Gang ins Büro verschob ich auf den Nachmittag. Bang spazierte ich zum ›Kleinen Rosengarten‹: Würde er wegen Betriebsferien geschlossen sein? Aber schon von weitem sah ich Giovanni mit der Serviette überm Arm im Gartentor stehen.
    »Du wiedär zurück von Griechän? Griechän nix gut. Komm, ich dich machän Gorgonzolaspaghetti.«
    »Si, Ittaker prima.« Wir spielten unser Deutscher-unterhält-sich-mit-Gastarbeiter-Spiel.
    Giovanni brachte mir den Frascati und erzählte mir von einem neuen Film. »Das wäre eine Rolle für Sie gewesen, ein Killer, der auch Privatdetektiv hätte sein können.«
    Nach Gorgonzolaspaghetti, Kaffee und Sambuca, nach einem Stündchen mit der ›Süddeutschen‹ in den Anlagen am Wasserturm, nach einem Eis und einem weiteren Kaffee bei ›Gmeiner‹ stellte ich mich meinem Büro. Es war gar nicht so schlimm. Mein Anrufbeantworter hatte meine Abwesenheit bis zum Heutigen mitgeteilt und keine Nachrichten aufgenommen. In der Post fand ich neben den Mitteilungen des Bundesverbandes Deutscher Detektive, dem Steuerbescheid, Werbesendungen und einer Einladung zur Subskription des Evangelischen Staatslexikons zwei Briefe. Thomas bot mir einen Lehrauftrag an der Mannheimer Fachhochschule im Studiengang Diplom-Sicherheitswart an. Die Vereinigten Heidelberger Versicherungen baten mich, sie sogleich nach meiner Rückkehr aus dem Urlaub zu kontaktieren.
    Ich wischte ein bißchen Staub, blätterte in den Mitteilungen, holte die Flasche Sambuca, die Dose mit den Kaffeebohnen und das Glas aus dem Schreibtisch und schenkte mir ein. Ich verweigere mich zwar dem Klischee vom Whisky im Schreibtisch des Privatdetektivs, aber eine Flasche muß sein. Dann sprach ich den neuen Text auf meinen Anrufbeantworter, vereinbarte mit den Heidelberger Versicherungen einen Termin, verschob die Antwort auf Thomas’ Angebot auf irgendwann und ging nach Hause. Den Nachmittag und Abend verbrachte ich auf dem Balkon und erledigte Kleinkram. Über den Kontoauszügen kam ich ins Rechnen und stellte fest, daß ich mit den bisherigen Aufträgen fast schon mein Jahrespensum erfüllt hatte. Und das nach dem Urlaub. Sehr beruhigend.
    Es gelang mir, meinen Schwebezustand noch in die nächsten Wochen hineinzuretten. Den Versicherungsbetrugsfall, den ich übernommen hatte, bearbeitete ich ohne Engagement. Sergej Mencke, mittelmäßiger Ballettänzer am Mannheimer Nationaltheater, hatte seine Beine hoch versichert und alsbald das eine kompliziert gebrochen. Er würde nie mehr tanzen können. Es ging um eine Million, und die Versicherung wollte Gewißheit, daß alles mit rechten Dingen zugegangen war. Die Vorstellung, daß sich jemand selbst das Bein brach, war mir entsetzlich. Als ich ein kleiner Junge war, erzählte mir meine Mutter zur Illustration männlicher Willensstärke, Ignatius von Loyola habe sich das Bein, als es nach einem Bruch falsch zusammengewachsen war, selbst mit dem Hammer wieder gebrochen. Ich habe Selbstverstümmler immer verabscheut, den kleinen Spartaner, der sich vom Fuchs den Bauch zerfleischen ließ, Mucius Scaevola und Ignatius von Loyola. Aber eine Million hätten sie meinetwegen alle kriegen können, wenn sie dadurch aus den Schulbüchern verschwunden wären. Mein Ballettänzer sagte, der Bruch sei beim Zuschlagen der schweren Tür seines Volvos passiert; er habe am fraglichen Abend hohes Fieber gehabt, trotzdem einen Auftritt durchstehen müssen und sei danach nicht mehr ganz bei sich gewesen. Deswegen habe er die Tür zugeschlagen, obwohl sein Bein noch draußen war. Ich saß lange in meinem Auto und versuchte mir vorzustellen, ob so etwas möglich sei. Viel mehr konnte ich wegen der Theaterferien,

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