Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
Vom Netzwerk:
Weinlaube getan hat. Manchmal schreibt der Karl Kraus schon schwer.«
    »Ich weiß nur noch, daß es eine Heldin von Ibsen ist. Lassen Sie sich das Stück doch als nächstes vorlesen. Karl Kraus kann man gut unterbrechen.«
    »Ich will mit meiner Frau reden. Es wäre das erste Mal, daß wir unterbrechen.«
    Dann fuhr ich zu Beisel. Er war nicht da, ein Arbeiter von ihm zeigte mir das Wrack.
    »Wissen Sie, was mit dem Auto wird? Sind Sie Verwandtschaft?«
    »Ich denke, es soll verschrottet werden.« Von rechts hinten betrachtet, hätte man es fast für unversehrt halten können. Das Verdeck war beim Unfall nach hinten zusammengefaltet gewesen und vom Abschleppunternehmen oder vom Sachverständigen wegen des Regens hochgeklappt worden; es war heil. Links war das Auto vorne völlig eingedrückt und seitlich aufgerissen. Achse und Motorblock waren nach rechts versetzt, die Kühlerhaube war zum V gefaltet, die Windschutzscheibe und die Kopfstützen lagen auf dem Rücksitz.
    »Ah, verschrottet. Sie sehen ja auch, daß an dem Auto nichts mehr dran ist.« Dabei guckte er so offensichtlich verstohlen auf die Anlage, daß es mir auffiel. Sie war völlig intakt.
    »Ich nehme Ihnen die Anlage schon nicht raus. Aber könnte ich mir das Auto jetzt allein anschauen?« Ich steckte ihm zehn Mark zu, und er ließ mich allein.
    Ich ging noch mal um das Auto herum. Seltsam, auf den rechten Scheinwerfer hatte Mischkey mit einem schwarzen Klebeband ein Kreuz geklebt. Wieder faszinierte mich die fast unversehrt wirkende rechte Seite. Als ich genau hinsah, entdeckte ich die Flecken. Sie waren auf dem flaschengrünen Lack nicht leicht zu sehen, es waren auch nicht viele. Aber sie sahen nach Blut aus, und ich fragte mich, wie es da hingekommen war. Hatte man Mischkey auf dieser Seite aus dem Wagen gezogen? Hatte Mischkey überhaupt geblutet? Hatte sich jemand bei der Bergung verletzt? Vielleicht war es unwichtig, aber ob es Blut war, interessierte mich jetzt doch so, daß ich mit meinem Schweizer Offiziersmesser dort, wo die Flecken waren, ein bißchen Lack in ein kleines leeres Filmdöschen abkratzte. Philipp würde mir die Probe analysieren lassen.
    Ich schlug das Verdeck zurück und schaute in das Innere. Auf dem Fahrersitz fand ich kein Blut. Die Seitentaschen in den Türen waren leer. Am Armaturenbrett klebte ein silberner Christophorus. Ich riß ihn ab, vielleicht würde Frau Buchendorff ihn mögen, auch wenn er bei Mischkey versagt hatte. Das Radio- und Kassettengerät erinnerte mich an den Samstag, an dem ich Mischkey von Heidelberg nach Mannheim gefolgt war. Es war noch eine Kassette drin, die ich rausnahm und einsteckte.
    Von Automechanik verstehe ich nicht viel. Deswegen verzichtete ich darauf, tumb in den Motorraum zu starren oder unter das Wrack zu kriechen. Was ich gesehen hatte, reichte mir für eine Vorstellung von der Kollision des Autos mit dem Geländer und dem Sturz auf die Gleise. Ich holte meine kleine Rollei aus der Manteltasche und machte ein paar Aufnahmen. Beim Bericht, den mir Nägelsbach mitgegeben hatte, waren Photos dabei, aber in der Kopie war darauf wenig zu erkennen.

4
Ich schwitzte alleine
    Zurück in Mannheim, fuhr ich als erstes in die Städtischen Krankenanstalten. Ich fand Philipps Zimmer, klopfte an und trat ein. Er versteckte gerade den Aschenbecher mit rauchender Zigarette in der Schreibtischschublade. »Ach, du bist’s.« Er war erleichtert. »Ich habe der Oberschwester versprochen, nicht mehr zu rauchen. Was führt dich zu mir?«
    »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
    »Bitte mich bei einem Kaffee drum, wir gehen in die Kantine.« Als er mir mit wehendem weißem Mantel vorauseilte und für jede hübsche Schwester einen losen Spruch hatte, sah er aus wie Peter Alexander als Graf Danilo. In der Kantine tuschelte er mir etwas über die blonde Schwester drei Tische weiter zu. Sie warf einen Blick herüber, den Blick eines blauäugigen Haifisches. Ich mag Philipp, aber wenn ihn eines Tages ein solcher Haifisch verspeist, hat er’s verdient.
    Ich holte mein Filmdöschen aus der Tasche und stellte es vor ihn hin.
    »Klar kann ich dir einen Film entwickeln lassen in unserem Röntgenlabor. Aber daß du inzwischen Bilder machst, die du dich nicht mehr ins Photogeschäft zu bringen traust – nein, Gerd, das haut mich um.«
    Philipp hatte wirklich nur das eine im Kopf. War das bei mir mit Ende Fünfzig auch so gewesen? Ich dachte zurück. Nach den schalen Ehejahren mit Klara hatte ich die ersten

Weitere Kostenlose Bücher